Reportage

Die Flucht aus der Realität

Das Konzert wird mit dem Klang eines Didgeridoos eröffnet. Foto: Antonia Schütter.
Günter Müller fasziniert mit eines seiner Naturklanginstrumenten, dem Gong. Foto: Antonia Schütter.

ISERLOHN. Der Musiker Günter Müller gibt erneut ein Konzert „in Finsternis“ in der Dechenhöhle in Iserlohn. Zu hören sind viele verschiedene Naturklanginstrumente, mit denen er sein Publikum verzaubert.

Es ist kalt. Zehn Grad, um genau zu sein. Die Lichter in der Dechenhöhle in Iserlohn gehen aus. Für einen kurzen Moment ist es stockdunkel. Sowohl die Bühne, als auch Günter Müller auf der Bühne verschwinden vollkommen.

Der zuvor noch zusehende Musiker trägt einen dunklen, warmen Fließpullover und eine schwarze Jeans. Es ist nahezu unmöglich, ihn in der Dunkelheit zu sehen. Am Ende der Bühne wird ein rotes Laserkreuz an die Höhlenwand projiziert. Es ist schwierig die Bühne noch zu erkennen, auch aus der ersten Reihe. „Also, das ist jetzt noch hell", sagt der Musiker aus der Dunkelheit. Mit Schwierigkeiten seine Stimme zu orten, erfüllt das Lachen der fünfzig anwesenden Besucher die Höhle. Es erlischt aber genauso schnell wieder.

Günter Müller

Günter Müller ist Musiker und Architekt. Er hat Klavier, Kontrabass und Gitarre studiert. Schon seit vielen Jahren gibt er Konzerte, aber nicht mit dem Klavier, dem Kontrabass oder der Gitarre. Auch nicht unbedingt auf einer ganz normalen Bühne. Er spielt in Höhlen auf Naturklanginstrumenten. Doch, was weckt das Interesse an Naturklanginstrumenten? „Die Instrumente finden Einen“, verrät mir der Schwerter. Den ersten Kontakt mit den außergewöhnlichen Instrumenten hatte er in Salzburg. Die Shakuhachi, eine aus Japan stammende Meditationsflöte, erregte seine Aufmerksamkeit beim schlendern durch die Stadt im Skiurlaub. Er hat den Klang des Instruments gehört und war sofort verzaubert. Sie ist auch bekannt als die Erleuchtungsflöte. „Sie führt absolut zur Erleuchtung“, spaßt der Musiker mit seinem Publikum. Von da an entschied er, für einen Monat lang täglich ein bis zwei Stunden zu üben. Schnell wurde das Instrument zu seinem Eigentum. Die Shakuhachi gehört auch heute noch zu seinen Lieblingsinstrumenten. Zu Hause hat er eine ganze Shakuhachi Sammlung. Einmal Blut geleckt, entdeckt Herr Müller immer mehr Naturklanginstrumente und beschäftigt sich weiter mit diesen. Die Möglichkeiten, die die Instrumente mit sich bringen begeistern ihn bis heute.

Nach ein paar Sekunden verschwindet der rote Laser und die Höhle befindet sich wieder in absoluter Dunkelheit. Es dauert eine Weile, bis sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Wo vorher ein heller Scheinwerfer war, ist jetzt ein schon fast blau wirkendes Lichtfeld. Es ist so dunkel, dass es kaum wahrnehmbar ist. Ein paar Instrumente spenden minimales Licht durch Neonbemalungen. Trotzdem nicht genug Licht, um die eigene Hand vor Augen sehen zu können. Es ist still. Das Publikum bewegt sich in den Sitzen, um eine bequeme Position einzunehmen. Alle bereiten sich auf Entspannung vor.

Der Klang der Instrumente

Aus der absoluten Stille ertönt aus dem Nichts ein lautes Surren. Ich zucke kurz zusammen, genieße im Anschluss aber den Klang des ersten Instruments. Es ist ein lauter, sehr mystischer Klang. Das bassartige Geräusch wird mal lauter und dann wieder leiser. Es dauert einen Moment, um sich an die Klänge zu gewöhnen. Die Melodien des Instruments lockt den Zuhörer in eine andere Welt. Der Körper wird schwerer und trotz der kalten Luft um einen herum wärmt der Körper sich auf. Ich atme die angenehme Luft tief ein und bin nicht allein. Immer wieder nehme ich schwere Atemzüge wahr.

Auf einmal ist es ruhig. In der kleinen Pause höre ich, wie Herr Müller das Instrument weglegt und das Nächste sucht. Jeder Schritt ist deutlich hörbar. Jede Bewegung, auch im Publikum, ist wahrnehmbar. Die Pause weckt das Publikum kurz auf. Der kalte, nasse Kies, der sich unter unseren Füßen befindet, knirscht. Dann herrscht wieder Stille. Nicht einzuordnen, woher die einzelnen Geräusche kommen, bleibt keine Zeit mehr, um weiter darüber nachdenken, denn der Ton des nächsten Instruments erfüllt die Höhle mit Zauber. Es ist ein ganz anderes Geräusch als vorher. Sehr sanft. Das Klimpern erinnert an Asien und Sonne auch, wenn das Instrument seinen Ursprung in Afrika hat und der eigentliche Ton, dem Geräusch des Regens ähnelt. Schnell, langsam, laut und leise. Meine Umwelt und mich selber nehme ich mit diesem Klang ganz anders war. Ich fühle mich erfüllt und glücklich. Es tropft von der Decke auf meinen Schoß. Platsch. Viel zu schnell erlischt der Klang der Sonne wieder. Das Zeitgefühl ist schon längst verloren.

Wieder eine Pause, doch das Publikum rührt sich kaum noch. Ein greller Ton durchbricht die Stille. Es wird laut und hektisch. Das Instrument klingt wie eine Art Flöte. Doch anders als bei der Blockflöte gleichen die Töne einem Zischen. Trotz der hektischen Musik herrscht Entspannung. Die unruhige Melodie strahlt Freude aus. Es erinnert an Tanzmusik, zu der gesprungen und im Kreis getanzt wird. Sogar durch die Musik der Flöte höre ich, aus einer Reihe hinter mir, ein Schnarchen. Es ist die Flucht aus der Realität ins Fantasieland. Die Sorgen aus dem Alltag werden vergessen, der Körper entspannt sich, wird ruhig. Ein weiterer Tropfen landet auf meiner Schulter, aber er stört mich nicht. Auch ich merke, wie ich meine Augen bewusst schließe, obwohl ich sowieso nichts sehen kann. Jedes Instrument erfüllt mich mit neuen Gefühlen und Eindrücken.

Das Konzert „in Finsternis“

Das Konzept als Solches, mit Herrn Müller findet bis zu dreimal im Jahr in der Dechenhöhle statt. Die Idee, seine Instrumente in einer Höhle zu spielen, kam von einem Freund des Musikers. Die Idee in der Finsternis zu spielen, kam allerdings von dem Schwerter persönlich. Bei der Frage, ob es im Dunkeln nicht schwieriger sei zu spielen, schüttelt Müller mit dem Kopf. „Im Dunklen spielen ist eigentlich schöner, weil man mehr den Klängen nachlauschen kann“, überzeugt er mich. Außerdem sei er als Künstler nicht so abgelenkt, als wenn er alles im Hellen mitbekommt, fügt der Musiker hinzu. Herr Müller ist schon seit fast 25 Jahren in der Dechenhöhle musikalisch tätig, erzählt mir Dr. Stefan Niggemann, Geschäftsführer und Pächter der Höhle sowie des Höhlenmuseums. Mittlerweile hielt Herr Müller schon weit über 100 Konzerte in der Höhle. Nicht nur im Dunklen und alleine, sondern auch zu anderen Events in der Höhle und mit gesanglicher Begleitung. „Wir sagen immer: Ich bin der Höhlendirektor und Herr Müller der Musikdirektor“, erzählt Herr Dr. Niggemann lachend. Musikalisch ist Herr Müller zudem noch in Bayern zu sehen und eigene CD’s hat der Architekt zusätzlich noch herausgebracht.

Eine Wohltat für die Seele

Wie eine Eule klingt das nächste Instrument und plötzlich befinden wir uns nicht mehr im Fantasieland, sondern im Wald bei Nacht. Die Hintergrundgeräusche werden anders wahrgenommen. Das Knirschen des Kieses wird schnell zum Blätterknistern. Die Eule fliegt weg und es entsteht eine Melodie. Die Melodie einer Flöte, aber diesmal ohne ein Zischen. Ganz im Gegenteil, sehr klar und weich. Fast übergangslos ertönt ein leises Donnern. Es wird lauter und intensiver. Ich spüre eine Gänsehaut an meinem Körper und fühle mich aufgewühlt. Nach längerem Hören des Instruments gleicht der Nachklang einem sehr leisen Presslufthammer. Bei leiserem Spielen kehrt wieder Ruhe ein. Wie in Trance lausche ich dem Summen und dem hallenden Geräusch.

Fern von der Realität erklingt schon fast ein vertrautes Geräusch. Ganz ähnlich wie am Anfang. Das Licht geht langsam wieder an. Meine Augen werden kleiner. Bewegung kommt zurück in die Höhle und alle strecken sich. Das Licht ist ungewohnt. Vor mir sehe ich Herrn Müller in ein langes, hohles Rohr blasen. Er geht Kreise auf der Bühne und nähert sich den Höhlenwänden. Es erzeugt einen intensiveren Klang. Das Publikum wippt mit den Beinen und auch Herr Müller bewegt sich zu seinen Melodien. Immer noch entspannt genieße ich die Zusammenführung von Ton und Bild. Mit einem „Dankeschön“ beendet der Musiker sein Konzert. Das jetzt wieder rege Publikum zeigt seine Begeisterung durch langen, lauten Applaus.

Didgeridoo, Fujara und Co.

Im Anschluss zu seinem Konzert belehrt Günter Müller das Publikum über seine Instrumente. Mit Lichteinfluss spielt er die Instrumente erneut und erzählt alles Wichtige über sie. Die Passion des Musikers ist mehr als deutlich. Das Instrument, mit dem er sein Konzert eröffnet hatte, ist das Didgeridoo. Ein ausgehöhlter Eukalyptusstamm, der seinen Ursprung in Australien hat. Die Technik, die das Instrument zum Spielen bedarf, beherrscht Herr Müller.

Die Fujara ist eine slowakische Hirtenflöte. Ihre Melodien sind bekannt aus dem Klassiker „Tanz der Vampire“. Sie ist sehr lang und reicht bis zum Boden. Herr Müller ist im Besitz einer ganz besonderen Fujara. „Das ist eine Reiseflöte.“, präsentiert er stolz. Es ist eine Fujara nur in ganz klein. Sie gibt es so eigentlich nicht zu kaufen, doch Herr Müller konnte dem Hersteller dieses Einzelstück abkaufen, erzählt er.

Vom Glockenspiel bis Gong stellt der Musiker alle seine handangefertigten Instrumente vor und hat zu jedem noch eine nette Anekdote. Es macht Spaß dem begeisterten Musiker zuzuhören, wie er von seinen Reisen erzählt und Er belehrt uns über verschiedene Töne und Klänge und gewährt einen Einblick in die Welt der Naturklanginstrumente.

Das Ende der Reise

Die versprochene Reise in eine abenteuerliche Landschaft geht vorbei. Herr Müller lädt das Publikum ein, zu ihm nach vorne zu kommen, um die Instrumente aus allen Kontinenten besser sehen zu können. Auch für Fragen ist der Musiker offen. Vereinzelt kommen die Zuschauer zur Bühne und schauen sich interessiert um. Langsam beginnen die Leute aus der Höhle zu schlendern, aber die Gespräche über die unglaublichen Eindrücke des Abends, halten noch bis zum Parkplatz an.

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Von Antonia Schütter
Veröffentlicht am 08.04.2019

Antonia Schütter

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