Social Media – Von Blumenkübeln und Entwicklungsländern

Die Social Media-Expertengruppe während der Podiumsdiskussion. Foto: Julian Borchert

Recklinghausen. Social Media wird manchmal als „Journalismus von unten“, als Mitmachjournalismus, bezeichnet. Auf dem Deutschen Journalistentag in Recklinghausen sprach BiTSnews unter anderem mit der Bloggerlegende Sascha Lobo - über das Social Web, dessen alltägliche Relevanz und dass Echtzeit nicht mehr schnell genug ist.

Social Media ist keine Hexerei. Es ist kein Trend. Es ist Realität und wird in Zukunft unverzichtbar. Definitionen gibt es viele: „Social Media ist wie eine Party, zu der man eingeladen ist, aber niemanden kennt“, sagt die PR-Expertin Tina Kulow auf einer der Podiumsdiskussionen beim Journalistentag am 20. November. Ralf Heimann, Redakteur der Münsterschen Zeitung, sieht das anders: „Das ist keine Party, sondern vielmehr ein Werkzeug, das die Journalisten immer schon gebraucht haben.“ Und die deutsche Bloggerlegende Sascha Lobo ist sich sicher: „Ich [als Journalist] kann mir meine virtuelle Soziosphäre feinjustieren. Ich bin selbst dafür verantwortlich, welche Quellen ich wie anzapfe, um mit meiner Recherche Erfolg zu haben.“ Desweiteren bedürfe es grundsätzlich einer gewissen Faszination, sich mit dem komplexen Thema Social Media auseinanderzusetzen.

Das Social Web ist mittlerweile auf fast jedem deutschen Rechner angekommen. Schon gegen Ende des Jahres 2009 nutzten monatlich 43 Millionen Deutsche soziale Netzwerke. Jüngste Umfragen ergaben, dass 37% der deutschen Surfer regelmäßig Facebook und Co aufsuchen. Eine bislang kaum beachtete Facette des Social Web ist, dass jeder individuelle User potentiell eine wichtige Rolle spielen kann und unmittelbaren Einfluss auf die Themenwahl und Recherche von Redakteuren hat. Schnelle, virtuelle Kommunikationswege ermöglichen es jedem Internetnutzer, als Multiplikator zu fungieren und durch Empfehlungsmarketing und „Friendcasting“ Reichweite zu schaffen. Letzteres setzt sich zusammen aus den Worten „Friend“ (Freund) und „Broadcasting“ (Senden) und steht für das Publizieren von beispielsweise tagesaktuellen Nachrichten. Die Verbreitung von Inhalten geschieht nicht mehr ausschließlich durch die Medien selbst, sondern zunehmend auch durch das Teilen von Funden durch Freunde. Im Klartext: Wenn ein BILD-, WAZ- oder SPIEGELonline-Artikel gefällt, wird er gepostet, geliked und wird im Idealfall immer weiter geteilt: der Netzwerkeffekt ist entstanden. 

Interesse versus Relevanz – ein Beispiel

An einem Beispiel illustriert: Julius ist ein aktiver "Social Webber". Er teilt seine Interessen mit Freunden (Friendcasting), postet regelmäßig Artikel von SPIEGELonline (Empfehlungsmarketing) und nutzt Twitter und Facebook als erweiterte Recherchetools. Julius dient durch das öffentliche Äußern seiner Meinung als Trendscout und Trendspiegel und ist so der Themenfindung eines Journalisten dienlich. Denn was er teilt, ist interessant und was interessant ist, hat das Potential, eine Nachricht zu werden.

Social Media-Experte Sascha Lobo sagt dazu: „Interesse und Relevanz stehen einander gegenüber. Es ist jetzt die Aufgabe eines Journalisten, aus dem Wust an interessanten Beiträgen im Social Web diejenigen mit einem Nachrichtenwert zu finden.“ Eines der wohl bekanntesten Twitter-Phänomene, „#blumenkuebel“, plakatiert ein gutes Beispiel. Vor zwei Jahren war dieser Twitter-Star weniger relevant als vielmehr interessant und hatte es sogar bis ins chinesische Radio geschafft.
 
Deutschland ist „Social Media-Entwicklungsland“

„Man muss diese Leute wie ein kleines Medium behandeln“, behauptet Lobo gegenüber BiTSnews. Ihr Einfluss schaffe Quote, Traffic (Verkehr auf der Webseite) und letztlich Bekanntheit. Diese Weiterempfehlung von Trends, Links oder virtueller Produkte sei dabei von zentraler Wichtigkeit. „Als Unternehmen oder Journalist mehrerer solcher Multiplikatoren zu kennen, ist natürlich immer enorm hilfreich. Denn was interessant ist, bestimmen die“, sagt Lobo.

Der Journalist und Blogger beleuchtet die Unternehmensseite näher. Wer den Social Media-Trend schon heute ernst nähme, müsse seine Businessstrategien auf ein neues Paradigma umstellen. Kernaufgabe sei es, "schneller als Echtzeit zu sein. Und wenn dann ein Kunde mit mir als Unternehmen Kontakt aufnimmt, weiß ich künftig schon, was er von mir will. Echtzeit ist eben längt kaum noch schnell genug." Gleichzeitig gibt die Blogger-Koryphäe zu bedenken: "Deutschland ist leider ein Social Media-Entwicklungsland. Es gibt nur 350.000 aktive Twitterer in Deutschland, und lediglich ein Achtel der Bevölkerung ist bisher bei Facebook angemeldet. Social Media-Kompetenz ist kein Punkt, an dem man ankommt, und dann ist gut. Das denken manche, aber es handelt sich um einen Prozess." Es sei leichter, Social Media-Experte zu werden, als es zu bleiben.

Von Adriano Augello & Julian Borchert

Veröffentlicht am 23.11.2010