Über den Tod hinaus

Etwas außerhalb vom Iserlohner Stadtzentrum liegt der Hauptfriedhof. Foto: Konstantin Holtkamp
Gespannt lauschen die Führungsteilnehmer den Erzählungen von Götz Bettge. Foto: Konstantin Holtkamp

ISERLOHN. Ein Mann kämpft gegen das Vergessen der alten Gruften reicher Iserlohner Industrieller auf dem Hauptfriedhof. Doch seine Mission ist nicht einfach. Führungen sollen deshalb sensibilisieren.

Auf mehr als 290.000 Quadratmetern herrscht Stille. Der Wind rauscht durch das erste gefallene Herbstlaub. Im Jahre 1826 wurde der Iserlohner Hauptfriedhof verlegt, zuvor lag er zentral an der alten Bauernkirche im Stadtzentrum. Vor allem der historische Teil des Friedhofs wirkt an normalen Werktagen meist wie ausgestorben. Doch an diesem Freitag sind die alten Pfade voller Leben. Eine bunte Gruppe zieht munter diskutierend zwischen den alten Gruften der großen Iserlohner Familien umher. An der Spitze der kleinen Führung: Götz Bettge. 35 Jahre lang war er Leiter des Stadtarchivs in Iserlohn. Kaum jemand weiß so viel über die Geschichte der größten Stadt im Märkischen Kreis. 

Vom Reihenhaus ins Reihengrab

„Die Franzosen verlegten die innerstädtischen Friedhöfe im 19. Jahrhundert vor die Städte“, erklärt Götz Bettge. „Angeblich aus Gründen der Hygiene. Völliger Unsinn!“ Nach und nach bauten alle reichen Familien ihre eigenen Gruften. Was in den Städten mit prächtigen Villen begann, wurde bis zum Tod mit pompösen Gräbern beibehalten. „Hielt man etwas auf sich, zog man nicht aus dem Reihenhaus ins Reihengrab“, erzählt Bettge weiter. Sogar eine Schlossallee gab es. Die Gräber in Nähe zur Friedhofsmauer waren besonders teuer. In der Gruft ging es zunächst hinab in eine Grabkammer. Dort standen die Särge fein aufgereiht nebeneinander. Um üble Gerüche zu vermeiden, bettete man die Toten zuerst in einen Zinksarg, der dann von einem Holzsarg umschlossen wurde. Auch aufwendig gestaltete Grabdenkmäler wie Stelen und Figuren galten als Prestige. Dabei spielten eingearbeitete Figuren eine wichtige Rolle. „Säulen galten immer als Machtsymbol und Sterne für das Licht, das den Toten leuchten sollte“, weiß Götz Bettge. „Der immergrüne Efeu wurde gerne gepflanzt, um sowohl die Gräber zu begrünen als auch das ewige Leben zu markieren.“

Vom Aufstieg und Verfall

Heute ist vieles mit genau diesem Efeu überwachsen, denn die großen Grabanlangen haben einen entscheidenden Nachteil. Wurden sie damals als Prestigeobjekte gepflegt, verwitterten sie nach dem kompletten Aussterben einer Familie. „Schmuddelig sehen die Grabstätten heute aus“, bemerkt Liane Kamp, geborene Kissing. Sie ist eine direkte Nachfahrin der reichen Kissing-Familie. „Ich war seit dem Tod meines Großvaters vor etwa 60 Jahren nicht mehr hier. Wenn ich gewusst hätte, dass das Grabmal heute so aussieht, hätte ich mich viel eher gekümmert“, so Liane Kamp betroffen. Schade finden das auch andere Gäste der Führung. „Sprechen Sie doch bei der nächsten Wahl ihren Kandidaten drauf an“, empfiehlt Götz Bettge, denn der Bund bezuschusst zwar die denkmalgeschützten Gräber, doch auch mit Steuereinnahmen reicht das Geld zur Pflege nicht aus. Auch Grabschändung ist eine Herausforderung. Teures Kupfer und Zink wird dann gerne mal mutwillig abgerissen und gestohlen. „Eine Schande ist das“, ärgert sich Bettge. Auch deshalb will er zukünftig die Führung weiter anbieten. Er ist davon überzeugt, dass sich nur auf diese Weise die Bürger für das spannende Thema sensibilisieren lassen. 

Von Konstantin Holtkamp
Veröffentlicht am 19.10.2016