Museumsdorf Maste-Barendorf

Zwischen knallhartem Kapitalismus und frühindustriellem Charme

Eine Spitzenschleifmaschine. Foto: Sebastian May
Drahtricht- und Schneidemaschine. Foto: Sebastian May
Maschinen zum Entgraten der Drähte für Haarnadeln. Foto: Sebastian May
Nadeln aus dem alten Rom. Foto: Sebastian May

ISERLOHN. Bei einer Führung durch das Iserlohner Museumsdorf Maste-Barendorf begaben sich die Besucher auf die Spuren des frühindustriellen Kapitalismus der Nadelwirtschaft. Die Geschichte der Fabrikanlage besteht aus hart arbeitenden Männern und Kindern. Was von ihnen übrig bleibt und was sie geschaffen haben, hat schöne wie schlechte Seiten.

„Malochen wie die Berserker“ und dafür „kriegten die nen Appel und nen Ei“ – so beschreibt Museumsführer Peter Häusser die Arbeitsverhältnisse, die früher in der historischen Industriefabrik Maste-Barendorf geherrscht haben müssen. Peter Häusser führt seit 1998 Gäste durch die verschiedensten Museen im Märkischen Kreis. Der studierte Archäologe, der lange in Lübeck an Ausgrabungen beteiligt war, erklärt allen interessierten Besuchern des Museumsdorf Maste-Barendorf, wie vom 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts Haarnadeln, Messing und vieles mehr hergestellt wurden.

Russische Schellen

Der Name Barendorf stammt von dem durch das Dorf fließende Flüsschen Baaren, den man heutzutage als Baarbach kennt. Dieser Fluss diente den am Wasser gelegenen Iserlohner Firmen als Energiequelle. Alle paar hundert Meter befindet sich eine Mühle, die Wasserenergie für die ehemaligen dort ansässigen Fabriken schaffte. So auch in Maste-Barendorf. 1822 wurde Barendorf gegründet, um Messing herzustellen und es dann in der dortigen Gelbgießerei zu verschiedensten Objekten zu schmelzen und zu gießen. Unter anderem wurden in dieser Gelbgießerei Schellen für russische Schlitten hergestellt. Peter Häusser erklärt, dass diese Schellen den Russen und deren Pferden halfen sich vor Wölfen zu schützen. 

Neben der Gelbgießerei befindet sich eine Haarnadelfabrik auf dem Gelände Maste-Barendorf. Diese Haarnadelfabrik dient exemplarisch für die in Iserlohn vom Ende des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts ansässige Haarnadelfabrik Hermann Moritz & Sohn. Bei den Produktionen innerhalb der historischen Industriefabrik wurden bis zum ersten Weltkrieg systematisch Kinder eingesetzt. Ab 14 Jahren mussten die Jugendlichen zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche arbeiten. Auch die noch Jüngeren mussten schon arbeiten. Im Alter zwischen zehn und 14 Jahren waren die Kinder verpflichtet, zehn Stunden am Tag zu arbeiten. Zu der vielen Arbeit kamen noch desaströse Arbeitsverhältnisse, faktisch kein Arbeitsschutz, schlechte Ernährung und mangelnde Hygiene, was dazu führte, dass viele Kinder früh verstarben und die durchschnittliche Lebenserwartung auf 40 Jahre sank. „Ja, survival of the fittest“, erläutert Peter Häusser.

Ochsen und Menschen

Nach der Haarnadelfabrik besichtigen die Besucher ein altes Fachwerkhaus, das früher als Stall und Lagerraum diente und in dem sich heute mehrere historische Maschinen befinden. Der Boden, auf der die Maschine steht, besteht aus besonders geformten Steinen, damit sich die Ochsen auf gar keinen Fall verletzen. "Auf die Füße der Ochsen wurde mehr Rücksicht genommen als auf die der Arbeiter", so Häusser, "die waren für sich selbst verantwortlich". Die Nachfrage nach Arbeitsplätzen sei sehr groß gewesen, man konnte verletzte Arbeiter schnell durch neue ersetzen. Ochsen hingegen stellten teure Güter dar, die man pflegen musste. Sie seien vergleichbar mit den heutigen Lastwagen, erklärt Häusser.

Symbolisch für den gelebten Hochkapitalismus in der Industrie der damaligen Zeit schauen sich die Besucher mit Peter Häusser eine Spitzenschleifmaschine an. Die Personen, die an dieser Schleifmaschine arbeiteten, hatten durch den aufwirbelnden Staub eine sehr niedrige Lebenserwartung. Aus diesem Grund bekamen sie mehr Geld als die anderen Arbeiter der Fabrikanlage. Deshalb war diese Aufgabe sehr beliebt, da manche Menschen „lieber kurz, aber richtig“ lebten als „sich lange zu quälen“. 

Veranstaltungsort Barendorf

Mit dem ersten Weltkrieg verlor auch Maste-Barendorf an Bedeutung und wurde schließlich 1918 geschlossen. Heutzutage dient die Anlage nicht nur als Museum, sondern auch als Veranstaltungsort. „Rock in Barendorf“ oder „Art to take“ sind Veranstaltungen, die alljährlich in Barendorf stattfinden. Außerdem findet auch dieses Jahr wieder ein Weihnachtsmarkt in der historischen Fabrikanlage, mit einem großen Nadelbaum auf der Mitte des Museumshofes, seinen Platz.

Von Sebastian May
Veröffentlicht am 12.11.2017