Straßenbau

Achtung Klischeealarm

Jan Simon auf einer Baustelle. Foto: Luisa Bialas

NEUENRADE. Jeder kennt es: Geisterbaustellen, die nie fertig werden und Bauarbeiter, die nur herumstehen, Bier trinken und sowieso alle keinen Schulabschluss haben. Aber stimmt das wirklich? Straßenbauer Jan Simon (22) ist seit einem Jahr als Geselle in der Asphaltkolonne tätig. MAERKZETTEL hat ihn in einem Interview mit zehn Fragen konfrontiert.

MAERKZETTEL: Oft heißt es, Straßenbauer hätten keinen Schulabschluss und müssten nicht viel können. Was sagst du dazu und welchen Schulabschluss hast du?

Jan: Ich habe die Mittlere Reife. Was Schulabschlüsse betrifft sind wir allerdings bunt gemischt: von keinem Abschluss bis hin zum Abitur ist alles dabei. Es sind allerdings die Wenigsten bei uns, die keinen Abschluss haben. Diejenigen haben dann aber so viel Berufserfahrung, dass sie auf dem Arbeitsmarkt hoch angesehen sind. Heute ist die Voraussetzung ein Hauptschul- oder Realschulabschluss, je nach Betrieb.

MAERKZETTEL: Auf der Baustelle darf ein Kasten Bier nicht fehlen. Das ist ein typisches Bild, das einem bei Bauarbeitern in den Sinn kommt. Wann trinkt ihr euer erstes Bier?

Jan: Das erste Bier wird frühestens nach Feierabend getrunken. Auf der Baustelle selbst wäre das viel zu gefährlich. Wir arbeiten mit schweren Maschinen und da können schnell Fehler passieren. Diese Fehler können im schlimmsten Fall tödlich ausgehen. Außerdem arbeiten wir im fließenden Verkehr. Da kann auch immer etwas passieren, wenn man nicht hundert Prozent bei der Sache ist.

MAERKZETTEL: Wenn du im fließenden Verkehr arbeitest, hast du da auch manchmal Angst?

Jan: Angst nein. Respekt ja. Das ist wie in jedem anderen Beruf. Der Dachdecker hat auch keine Angst. Der ist die Höhe gewohnt. Genau so sind wir es gewohnt, im fließenden Straßenverkehr zu arbeiten. Was oft passiert ist, dass die Schilder, die wir zu unserem Schutz aufstellen, wie Geschwindigkeitsbegrenzungen, einfach übersehen beziehungsweise nicht beachtet werden. Auch bei Vollsperrungen oder Durchfahrt-verboten-Schildern ist man vor Autofahrern nicht sicher.

MARKZETTEL: Es gibt also viele Autofahrer die achtlos durch Baustellen fahren. Werdet ihr denn häufig von solchen angepöbelt?  

Jan: Manchmal hat man sich mit Autofahrern in den Haaren, die wieder keine Schilder lesen konnten. Dann kommen ein paar dumme Sprüche oder auch ein Mittelfinger. Aber im Großen und Ganzen habe ich sowas selten erlebt. Von anderen Arbeitskollegen habe ich gehört, dass Autofahrer handgreiflich geworden sind. Aber das sind die Ausnahmen: Spinner gibt es immer.

MAERKZETTEL: Ihr habt also ab und zu mit wütenden Autofahrern zu tun. Kannst du diese denn auch verstehen, wenn sie genervt von den vielen Baustellen sind?

Jan: Auf der einen Seite ja. Niemand steht gerne im Stau. Andererseits beschweren sich die Autofahrer auch, wenn die Straße kaputt ist und die Stoßdämpfer darunter leiden. Wenn wir die Straße dann neu machen beschweren sie sich, dass sie eine Umleitung fahren müssen oder an einer Ampel stehen. Eine Straße entwickelt sich leider nicht über Nacht. Also egal wie man es macht, man macht es immer falsch.

MERKZETTEL: Warum gibt es denn so viele Baustellen, die man einrichtet, aber auf denen dann Monate lang nichts passiert?

Jan: Zum einen sind die Straßenbau-Kolonnen nicht mehr so groß wie damals. Wo man früher mit zwölf Leuten auf eine Baustelle gefahren ist, wird man heute nur noch zu zweit hingeschickt. Wenn beispielsweise zwei Straßenbauer auf einer fünf Kilometer langen Baustelle verteilt sind, kann es schon mal sein, dass man denkt, dort würde niemand sein und nichts passiert. Es können aber auch andere Faktoren dafür verantwortlich sein. Wenn zum Beispiel der Auftraggeber nicht rechtzeitig zahlt, wird ein Baustopp veranlasst, sodass Firmen nicht in die roten Zahlen rutschen. Dann muss man bedenken, dass wir zurzeit sehr viele marode Straßen haben. Die Auftragsbücher der Firmen sind voll, aber es gibt kaum Menschen, die den Beruf des Straßenbauers ausführen wollen. Da muss man Prioritäten setzen: welche Baustelle ist am wichtigsten. Jetzt im Winter können wir während der sogenannten „Schlechtwetter-Zeit“ gar nicht arbeiten, da der Asphalt ab bestimmten Temperaturen nicht mehr eingebaut werden darf. Bei Kälte kühlt das Material zu schnell aus oder friert, sodass die Straße mangelhafte Qualität aufweist und eine Garantie von fünf Jahren nicht eingehalten werden kann.

MAERKZETTEL: Wenn ihr im Winter nicht arbeiten könnt, wie viel arbeitet ihr dann im Sommer?

Jan: Der Sommer ist natürlich die Hochsaison, da sind wir im Durchschnitt 9 Stunden am Tag auf der Baustelle, aber es gibt auch Tage, an denen man bis zu 12 Stunden arbeiten muss. Wenn Material angeliefert wird, muss es auch am selben Tag eingebaut werden.

MAERKZETTEL: Warum sieht man denn so oft, dass die Bauarbeiter nur herumstehen und nichts machen?

Jan: Es kommt häufig vor, dass das Material, das wir einbauen sollen, nicht rechtzeitig kommt. Das kann zum einen daran liegen, dass das Mischwerk eine Störung hat und keinen Asphalt produziert. Zum anderen kann es sein, dass die LKW im Stau stehen oder ihre gesetzlichen Pausen einhalten müssen. Dann stehen wir manchmal eine Stunde nur auf der Baustelle, ohne irgendetwas machen zu können.
Zudem brauchen wir auch Pausen, vor allem, wenn wir bei 40 Grad im Schatten arbeiten müssen.

MAERKZETTEL: Wie schafft ihr das bei diesen heißen Temperaturen so eine schwere körperliche Arbeit zu verrichten? Stimmt es, dass ihr Oberkörperfrei arbeitet?

Jan: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Man gewöhnt sich einfach an die Temperaturen. Wenn man Spaß an seiner Arbeit hat, dann ist es egal, bei welchem Wetter man draußen steht. Oberkörperfrei ist auf der Baustelle nicht erlaubt. Das ist angesichts des heißen Asphalts, mit dem wir arbeiten, viel zu gefährlich.
Um uns vor der Hitze zu schützen tragen wir Kappen, cremen uns mit Sonnencreme ein und trinken bis zu 8 Liter Wasser am Tag. Sonst tut man seinem Körper keinen Gefallen.

MAERKZETTEL: Was würdest du abschließend sagen, braucht man für diesen Beruf?

Jan: Man muss auf jeden Fall gut im Rechnen sein. Die Formeln zur Berechnung von Volumen, Flächen, Winkeln und so weiter muss man draufhaben. Das Klischee, Bauarbeiter seien dumm, stimmt also nicht.
Wir arbeiten mit komplizierter Technik, die kaum einen Fehler verzeiht. Außerdem sollte man materialkundig sein. Man muss schließlich wissen, womit man arbeitet und welche Eigenschaften die einzubauenden Materialien haben. Eine weitere Voraussetzung ist eine gute körperliche Gesundheit, da man seinen Körper während der Arbeit stark belastet. Ganz wichtig ist, dass man Motivation und vor allem Spaß an der Arbeit mitbringt – dann ist jeder gerne gesehen.

 

 

Von Luisa Bialas
Veröffentlicht am 19.12.2019

Luisa Bialas

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