Als Au-Pair in Guangzhou

Lea Dämmer: „Ich wollte etwas komplett Neues und Anderes erleben.“

Lea mit Lucky. Foto: Lea Dämmer
In China werden viele Stücke aufgeführt. Foto: Lea Dämmer
„Hot Pot“ ist ein typisch chinesisches Gericht. Foto: Lea Dämmer
Bei besonderen Anlässen wird immer viel Essen serviert. Foto: Lea Dämmer
Für Kinder gibt es oft kleinere Feste. Foto: Lea Dämmer
Typisch für die Küstenbewohner sind Meerestiere. Foto: Lea Dämmer
Lucky beim Klavierunterricht. Foto: Lea Dämmer
Zu einigen Festen kommen alle Familienmitglieder kostümiert hin. Foto: Lea Dämmer
Ein Park, der zu jedem Wohnhaus gebaut wird. Foto: Lea Dämmer
Die Kinder in China besitzen kleine Spielzimmer. Foto: Lea Dämmer
Lucky bei einer Ballettstunde. Foto: Lea Dämmer

HEMER. Für viele Abiturienten ist es bald geschafft. Die meisten entscheiden sich für eine Ausbildung, ein Studium, machen Work and Travel oder gehen für ein Jahr als Au-Pair ins Ausland. Die damals 19-jährige Lea Dämmer ist für ein halbes Jahr nach China gegangen. Ein Interview.

Maerkzettel: Wieso hast du dich für China entschieden und nicht für Amerika, wie es die meisten machen?

Lea Dämmer: Meine ältere Schwester Melanie hat ihr Auslandssemester in Fullerton in Kalifornien gemacht. Ich habe sie dann dort besucht, und wir sind mit dem Auto noch etwas durch Kalifornien und Nevada gefahren und haben uns einige Sehenswürdigkeiten angeschaut. Ich finde Amerika schon toll, aber irgendwie ist es sehr vergleichbar mit Deutschland. Ich wollte mal was komplett Neues und Anderes erleben. Da mich China schon immer fasziniert und beeindruckt hat, habe ich mich dann für das Land entschieden. Mich interessierte einfach die Sprache, die Mentalität, die Menschen, die Kultur und vor allem wie es ist, in einem Land zu leben, in dem der Staat das Sagen hat.

Maerkzettel: Wie lief das Ganze denn dann ab? War es besonders schwierig, ein Visum für China zu bekommen?

Lea Dämmer: Ich habe mich im Internet erst mal informiert, welche Angebote es gibt und was die einem jeweils bieten. Für mich war es nämlich wichtig, dass ich vor Ort auch die Möglichkeit habe, Chinesisch zu lernen. Letztendlich habe ich mich dann für die Organisation Star Exchange entschieden, da sie mir am besten gefiel. Ich habe dann einfach ein Kontaktformular im Internet ausgefüllt und an Star Exchange geschickt. Die Organisation hat sich dann bei mir gemeldet, und wir haben via Skype ein erstes Interview gemacht, was meine Vorstellungen sind, was mich erwarten wird und um sich auch gegenseitig kennenzulernen. Star Exchange hat sich dann auch um alles Weitere gekümmert und mir meine Gastfamilie, meinen Flug und mein Visum organisiert. Das lief alles sehr einfach und reibungslos ab. Vier Wochen später saß ich dann auch schon im Flieger nach Shanghai.

Maerkzettel: Wie war es denn vor Ort für dich? Hat dich die Familie nett empfangen, und wie war das Zusammenleben?

Lea Dämmer: Die Gastfamilie war super nett. Sie haben mich nachts vom Flughafen abgeholt und hatten extra für mich große, bunte Willkommensschilder gebastelt. Obwohl es schon sehr spät war, sind sie trotzdem noch mit mir Essen gefahren, weil sie dachten, dass ich noch Hunger habe. Ich wohnte in Guangzhou, nahe Hongkong. Das Haus war ein Mehrfamilienhaus mit bestimmt 30 Stockwerken. Wir wohnten in einer kleinen Wohnung im 13. Stock. Jeder hatte sein eigenes Zimmer, jedoch war die Wohnung schon recht klein. Zu jeder Gruppe Mehrfamilienhäuser, die alle durch Zäune abgegrenzt waren, gehörte jeweils eine kleine Einkaufsstraße mit Geschäften für den täglichen Bedarf sowie Parks und Spielplätze. Meine Gastfamilie bestand aus vier Mitgliedern. Der Vater war Geschäftsmann und die Mutter Hausfrau. Sie haben zwei Kinder - Jim (14 Jahre) und Lucky (5 Jahre). Ich musste mich auch nur um Lucky kümmern, da Jim nach Amerika ging, um dort zur Schule zu gehen. Die Familie hatte englische und chinesische Namen, wobei ich nur die englischen kannte. Die Kommunikation mit der Familie war jedoch nicht immer so toll. Der Vater konnte nur etwas Englisch und die Mutter und Putzfrau gar nicht. Lucky oder Jim mussten dann immer für mich übersetzen. Für eine Fünfjährige sprach Lucky sehr gut und fließend Englisch.

Maerkzettel: Wie sah dann dein Alltag bei der Familie aus? Musstest du dich rund um die Uhr um Lucky kümmern?

Lea Dämmer: Ich musste morgens früh aufstehen und der Mutter helfen, Lucky fertig für die Vorschule zu machen. Wenn die Mutter dann Lucky zur Schule brachte, fuhr ich mit dem Bus zur Sprachschule oder hatte Freizeit. Ich bin dann meistens in den Supermarkt gegangen und habe mir Snacks geholt und habe dann in der freien Zeit viele Filme geschaut. Mit dem anderen Au-Pair bin ich auch ab und zu in die Stadt gefahren und wir sind in eine englische Vorstellung ins Kino gegangen. Ich hatte ziemliches Glück, dass noch ein anderes Mädchen bei uns gewohnt hatte. Denn es ist ziemlich schwer sich in China zu verständigen, wenn man kein Chinesisch kann. So gut wie keiner versteht einen, und dann kann man auch nicht so viel machen. Mittags kam die Mutter dann mit Lucky zurück, wir haben dann zusammen gegessen und anschließend mussten wir mit Lucky zu Nachmittagsaktivitäten fahren. Bei den Chinesen ist es sehr wichtig, dass die Kinder viel Lernen und schon im frühen Alter viel gefördert werden. Meistens hatten wir pro Nachmittag drei Termine, wo ich dann auch mit musste. Lucky hatte Ballettunterricht, Klavierunterricht, Schwimmunterricht, Gesangsunterricht, Englischunterricht und Reitunterricht. Während Lucky dann eins davon gemacht hat, saß ich dann meistens da und habe gewartet. Zu Hause musste ich mit Lucky nach dem Mittagessen oder vor dem Abendbrot spielen oder sie beschäftigen, damit die Mutter sich ausruhen konnte. Zum Englischunterricht haben wir nämlich für eine Strecke 45 Minuten gebraucht, das fand ich schon ziemlich eigenartig, dass denen Entfernung und Zeit total egal sind. Am Wochenende hatte ich meistens frei, jedoch hat sich die Familie immer sehr gefreut, wenn ich etwas mit ihnen unternommen habe.

Maerkzettel: Wie kann man sich das Leben denn in China sonst so vorstellen?

Lea Dämmer: Bei den Chinesen gibt es an sich kein Familienleben, jeder lebt so für sich. Jedoch ist es wichtig, dass wenn gegessen wird, alle da sind und zusammen kommen. Essen ist in China sehr wichtig, genauso wie die Gemeinschaft, deswegen haben wir auch oft Familienmitglieder wie Tanten, Onkel und Großeltern besucht. Ansonsten sind die Chinesen sehr darauf bedacht, vor anderen, also in der Öffentlichkeit, gut dazustehen. Es gibt in China eine App, die nennt sich `We Chat´. Die App ist eine Mischung aus Facebook und Whatsapp. Meine Gastmutter sowie ihre Freunde und Bekannte haben dort wirklich alles gepostet. Zum Beispiel, dass sie ihrem Kind ein neues Spielzeug gekauft hat, dass sie Shoppen war, dass sie ganz toll gekocht hat, dass ihr Kind gerade Ballett lernt - wirklich alles, um den anderen zu zeigen, was sie für eine tolle Mutter ist. Das fand ich schon ziemlich krass, dass die da nur am Posten war. Auch wegen diesem Drang nach außen gut dar zu stehen, werden die Kinder schon sehr früh gefördert, so wie es bei Lucky der Fall ist. Was mir auch aufgefallen ist, dass die Chinesen sehr schnell bauen und die Qualität dadurch nicht gegeben ist. Im Sommer war es nämlich sehr heiß bei uns in der Wohnung, im Winter, wenn man vor dem Fenster stand, sehr kalt, weil die Fenster nicht dicht waren. Sie bauen auch ohne Heizung und nur mit Klimaanlage, sodass ich dann im Winter mit dicken Boots und ganz vielen dicken Sachen durch die Wohnung gelaufen bin.

Maerkzettel: China ist also schon sehr anders als Deutschland. Wie war denn das Essen dort? Wenn man an China und Essen denkt, hat man eher an Enten, Insekten und Reis, war das so?

Lea Dämmer: Das Essen war wirklich super. Es wurde drei Mal am Tag warm gegessen, und zu jedem Gericht wurden Nudeln oder Reis serviert. Da Guangzhou direkt an der Küste liegt, haben wir viele Meerestiere gegessen, also Fisch und Krabben, die dann mit verschiedenen Dips oder Saucen serviert wurden. Schlechte Erfahrungen hatte ich jetzt nicht.

Maerkzettel: Hattest du auch ein persönliches Highlight während deines Aufenthalts?

Lea Dämmer: Ja, ich konnte, obwohl ich schon oft auf Lucky aufpassen musste, viel sehen und reisen. Zum einen, weil wir oft die Verwandten besucht haben, zum anderen, weil die Familie mir auch die Möglichkeit gab, alleine Bekannte von ihnen in China zu besuchen.

Maerkzettel: Als abschließende Frage, würdest du wieder als Au-Pair nach China gehen?

Lea Dämmer: Ehrlich gesagt, würde ich es nicht nochmal machen, weil ich das Leben vor Ort etwas unterschätzt habe. Ich dachte, dass da schon viele Menschen Englisch sprechen können, was leider nicht der Fall war. Auch zu anderen Au-Pairs konnte man keinen Kontakt aufnehmen, weil das die Organisation nicht unterstützt hat, und in meinem Umfeld gab es keine Au-Pairs. Ich hatte also ziemliches Glück, dass meine Familie mich und eine Französin aufnahm, mit der ich dann etwas unternehmen konnte. Die Kommunikation mit den Gasteltern lief auch mehr schlecht als recht, da sie kaum Englisch konnten und mein Mandarin nicht ausreichte. Zudem war Lucky auch ein sehr egoistisches und anstrengendes Kind, das nicht hörte und immer die Aufmerksamkeit haben wollte. Ich hatte nicht erwartet, dass es so anstrengend sein könnte, sich mit einem Kind zu beschäftigen.

Von Svea Rüter
Veröffentlicht am 30.04.2017