Supermarktalltag in der Corona-Krise

Arbeiten, wenn alle "frei" haben

Ein typisches Bild in der Corona-Zeit: leere Supermarktregale. Foto: Max Sinn

Es ist 15 Uhr. Meine Arbeit im Supermarkt beginnt. Ich laufe Slalom um die Kunden herum, um ihnen nicht zu nahe zu kommen. Im Lager angekommen, streife ich mir als erstes meine Handschuhe über. Für mich etwas Neues, denn sonst gab es nie Probleme, ohne Handschuhe zu arbeiten.

ISERLOHN. Doch derzeit durchlebt Deutschland aufgrund der Corona-Krise eine schwierige Zeit. Immer mehr Menschen infizieren sich mit dem Virus, die meisten Unternehmen und Geschäfte werden geschlossen. Eine Ausnahme sind dabei unter anderem Supermärkte, die weiterhin für die Versorgung der Deutschen geöffnet haben. Davon bin also auch ich betroffen, denn ich muss arbeiten, wenn die meisten anderen Deutschen nicht zur Arbeit dürfen.

Ich bin nun seit gut einem halben Jahr als sogenannte Aushilfe im Supermarkt tätig, normalerweise zweimal in der Woche. Zuständig bin ich dort zumeist für die Getränke. In diesem Bereich arbeiten nur männliche Mitarbeiter, da die Arbeit hier körperlich deutlich anstrengender ist als im restlichen Supermarkt. In der Regel machen wir die Arbeit zu zweit. Derzeit sind wir allerdings oftmals zu dritt, da es in der Zeit der Corona-Krise deutlich mehr zu tun gibt. Zuerst geht es an das Einwegregal. Dort schaue ich, welche Einzelflaschen aufgefüllt werden müssen. Ich gehe in das Lager und suche die passenden Getränke zum Auffüllen. Da treffe ich auf meinen Kollegen, der sich gerade mit einem Stapler um das Vollgut, das heißt Bierkisten, Wasserkisten und vieles mehr kümmert. Nachdem ich das lange Regal aufgefüllt habe, helfe ich ihm beim weiteren Auffüllen der Kisten.

Während wir zusammenarbeiten, hören wir auf einmal ein hohes Piepen aus dem Kassenbereich. Und nein, es sind nicht die Kassen. Wir schauen uns beide an und wissen genau: es ist der volle Leergutautomat. Und das nicht zum ersten Mal an diesem Tag. Eine Aufgabe, die immer stark aufhält. Gerade in der Zeit der Pandemie kommt auch der Leergutautomat an sein Limit. Entweder ist ein Behälter mit gepressten Plastikflaschen voll, dann müssen wir ihn wechseln und den vollen Behälter ins Lager bringen. Oder es sind die leeren Getränkekisten. Ich suche mir die Kisten einer Sorte heraus, um sie auf eine leere Europalette zu stapeln. Anschließend fahre ich die volle Palette mit einem Hubwagen ins Lager uns muss jede einzelne Kiste dort sortengerecht lagern. Teilweise gibt es aber auch Aufgaben im restlichen Laden zu erledigen. Und da fällt einem gerade in den vergangenen Wochen eines auf: die leeren Regale. Die Kunden kaufen wie wild, um sich einen Vorrat für eine mögliche Ausgangssperre anzueignen. Wenn ich mal wieder eine Palette voller Leergut in das Lager fahre, sind derzeit viel mehr freie Plätze als es sonst der Fall ist. Gerade Toilettenpapier habe ich dort schon lange nicht mehr gesehen, da es morgens bereits vergriffen ist.

Dem Supermarkt „entfliehen“

Die vergangenen Tage zeigten aber auch, dass die meisten Menschen erstmal größtenteils ausgesorgt haben und gar nicht mehr so viel einkaufen müssen. Die Lage beruhigt sich also ein wenig. Komisch ist es dennoch, aktuell zu arbeiten. Viele Kunden laufen mit Handschuhen und oft auch einem Mundschutz durch die Gänge, machen einen metergroßen Bogen um einen herum. Auch die Situation an den Kassen ist unübersichtlich. Ein Sicherheitsabstand von 1,50 Metern lässt die Schlange stark anwachsen und macht es für mich schwieriger, vernünftig zu arbeiten. Wenn ich mit einem Hubwagen durch die Schlange fahren muss, ist es, wie eine Lawine auszulösen. Menschen müssen links und rechts deutlich Platz machen und trotzdem noch den Sicherheitsabstand einhalten.

Da kommt mir die Chance den Markt zu verlassen immer ganz gelegen. Als Alleinstellungsmerkmal in der Umgebung hat unser Markt einen Lieferservice. Damit beliefern wir zumeist ältere Menschen oder Menschen, die es einfach nicht in den Laden schaffen. Und gerade dieses Geschäft ist in der Zeit der Pandemie deutlich angestiegen. Hatten wir sonst im Durchschnitt fünf Auslieferungen am Tag, sind es im Moment gerne auch mal über zehn, die ich innerhalb von kurzer Zeit alleine ausliefern muss. Verpackt werden die Artikel in Bananenkisten, die zusammen mit Getränkekisten auf die Ladefläche des Lieferwagens kommen. Auch wenn alles in dieser besonderen Situation etwas länger dauert, anstrengender ist und mit mehr Abstand geschieht, ist es trotzdem immer noch schön, die glücklichen Gesichter der belieferten Leute zu sehen. „Wir haben seit zwei Wochen nicht mehr unser Haus verlassen", berichtet ein Ehepaar,„und dank Ihnen müssen wir das auch nicht". „Ich bin so froh, dass es so etwas wie diesen Lieferdienst hier in dieser Umgebung gibt“, erzählt mir eine Rentnerin, die in einer Wohnung im dritten Stock lebt. Wenn ich mit zwei vollen Bananenkisten und einer Kiste Wasser dort oben angekommen bin, kann ich die Dankbarkeit der älteren Leute sehr gut verstehen.

Wenn ich dann wieder in den Markt zurückkomme, bin ich immer froh, eine 30-minütige Pause einlegen zu können. Doch danach geht es munter weiter. Zum Feierabend hin stehen noch einige Aufgaben für uns auf dem Programm. Ich spreche mich mit meinem Kollegen ab, wer was macht. Zur Auswahl stehen auf der einen Seite die Müllrunde und auf der anderen Seite kümmert man sich um die Einkaufswagen. „Mach du lieber die Müllrunde, das dauert länger. Dann kann ich noch eben das Leergut fertig machen“, sagt mein Kollege. Ich habe also die Aufgabe der Müllrunde übernommen. Dafür schnappe ich mir frische Müllbeutel und gehe durch den ganzen Laden, um die Mülleimer zu leeren. Gerade die Müllbeutel in der Obstabteilung sind dabei immer besonders eklig, da dort die Reste entsorgt werden. Nachdem ich die Mülleimer im Laden geleert habe, gehe ich nach draußen, um dort die restlichen Tonnen vom Müll zu befreien. Alle Säcke schmeiße ich im Anschluss in den großen Müllcontainer. Dabei laufe ich wieder meinem Kollegen über den Weg, der gerade die Einkaufswagen zwischen den Boxen rangiert, damit wir die Rolltore an den Einkaufswagenboxen schließen können.

Pünktlich um 21 Uhr schließen wir den Markt ab, bleiben aber teilweise noch mehr als eine halbe Stunde, um alles wieder aufzuräumen.

Wie wird es weitergehen?

Der Andrang auf Lebensmittel ist in den vergangenen Tagen etwas zurückgegangen. Ich denke, dass er noch weiter zurückgehen wird. Toilettenpapier wird mit Sicherheit weiterhin ausverkauft sein und einige Menschen entdecken die Chance, sich Lebensmittel liefern zu lassen, neu. Zudem versuchen wir im Markt auch immer mehr auf Hygiene zu achten, so dass ich mittlerweile fast dauerhaft Handschuhe trage und die Kasse die Kunden durch ein Plexiglas auf Abstand hält. In einer für uns noch nie da gewesenen Situation lernen wir alle noch dazu.

Persönlich mache ich mir nicht so viele Gedanken, dass ich mich infizieren könnte. Ich habe am Tag zwar viel mit Kunden zu tun, aber die sind meistens gut mit Schutzausrüstung ausgestattet und auf Abstand. Als Gefahrenquelle sehe ich eher die Leergutflaschen, die ich jede einzeln anfassen muss. Doch das Tragen von Handschuhen und häufiges Händewaschen lässt mich mit der Situation entspannter umgehen.

Zusammen warten wir im Lager bis alles abgeschlossen wurde. Meine Handschuhe finden nun den Weg in den Müll. Ein letztes Mal geht der Feger durch das Lager bis alles sauber ist, und es am nächsten Morgen einen neuen Anlauf nimmt.

Von Max Sinn
Veröffentlicht am 31.03.2020