Folgen der Abhängigkeit

Drogensucht – Das Leben auf der Straße

Das unstillbare Verlangen nach illegalen Substanzen. Foto: Pixabay

Aus Neugier ausprobieren – jeder weiß, welche Folgen massiver Drogenkonsum mit sich führen kann. Trotz allem reizt es teils schon junge Teenager „drauf zu sein“. Doch leider bleibt es in den meisten Fällen nicht bei einem Joint. Für viele ist Gras die Einstiegsdroge, sowie auch bei Dennis Klein, dessen Leben von Drogen geprägt ist.

OBERVEISCHEDE/SIEGEN. Dennis Klein ist 23 Jahre alt und drogenabhängig. Er fing bereits im Alter von 12 Jahren an zu rauchen und konsumierte auf einer Party unter Alkoholeinfluss seinen ersten Joint. Er war der Jüngste aus seinem damaligen Freundeskreis und wollte mit dazu gehören und cool sein, wie er erzählt. Die Clique traf sich regelmäßig um gemeinsam Drogen wie Cannabis, Speed und Kokain zu konsumieren. Mit 16 Jahren setzte sich Dennis seinen ersten Schuss Heroin. Das war der Anfang seiner Heroinsucht. Wenig später landete er auf der Straße.

Dennis hält seine Handy-Kamera vor sich und setzt sich gemeinsam mit seinem besten Freund Luka auf eine Treppe, versteckt hinter einer Backsteinmauer. Dennis trägt ein weites, schwarzes ausgewaschenes Shirt, eine graue Nike Jogginghose und kaputte Vans. Sein Gesicht ist von dem jahrelangen Drogenkonsum gezeichnet. Seine blass-blauen Augen sind leicht gerötet und seine Pupillen erweitert. Er hat braunes lockiges Haar, welches jedoch nicht die nicht vollständig verheilte Narbe über seiner rechten Augenbraue verstecken kann. Dennis wurde vor knapp drei Wochen mit einer kaputten Glasflasche nach einer Auseinandersetzung ins Gesicht geschlagen. An seiner Lippe trägt der 23-jährige ein schwarzes Piercing und seine Arme sind mit vereinzelten Tattoos verziert.

„Ich war als Zweiter an der Reihe“

Dennis dreht sich eine Zigarette gefüllt mit Tabak und Gras – "so fängt es an", erzählt er. „Als Kind verstehst du nicht was Drogen oder Abhängigkeit bedeuten. Du siehst was deine Freunde machen und probierst es aus, um cool zu sein. Dir ist egal welche Konsequenzen der Rausch für deine Gesundheit hat – es ist der Moment, der zählt und dieser fühlte sich anfangs verdammt gut an“, erzählt Dennis während er den Rauch ausatmet. Am Anfang besuchte er die Realschule noch regelmäßig, doch mit dem steigenden Konsum stiegen auch seine Fehltage in der Schule. Zur gleichen Zeit trafen ihn mehrere tragische Familienschicksale mit dem Tod seiner Großmutter. „Ich habe mehre Zahlen auf meinem Unterarm tätowiert. Sie stehen für die Personen, die ich in meinem Leben verloren habe. Über die Jahre hinweg, wurden es immer mehr Ziffern. Freunde, mit denen ich Tage zuvor gesprochen hatte, starben kurze Zeit später an einer Überdosis und deren Folgen“, offenbart er nachdenklich.

Dennis geriet immer mehr auf die schiefe Bahn und lernte die falschen Leute zur falschen Zeit kennen. Ein paar Tage nach seinem 16. Geburtstag, traf er sich gemeinsam mit ein paar Freunden in einem heruntergekommenen und leerstehenden Fabrikgebäude. „Wir hörten Musik, tranken Alkohol und nahmen Drogen. Einer meiner ehemaligen Freunde hatte Heroin und eine Spritze mit dabei. Ich hatte bereits Monate davor schon Gefallen daran gefunden, das weiße Pulver zu rauchen. Doch an diesen Abend wollte ich mir das Heroin das erste Mal intravenös spritzen. Ich war als Zweiter an der Reihe und schnürte mir mit einem Bandana-Tuch meinen Arm zu, damit ich mir den Schuss verabreichen konnte. Das einzige, was ich von diesem Abend noch weiß, ist wie mir heiß und kalt wurde und mein Puls in die Höhe schoss. Es fühlte sich alles so fern, aber doch so nah an“, verrät der 23-Jährige. Am nächsten Morgen wachte er in seinem Erbrochenem auf.

Abgemagert – von den Drogen gezeichnet

Dennis verließ nach der neunten Klasse die Schule, nachdem er aufgrund seiner Fehltage zwei Mal die Klasse wiederholen musste. Er fing eine Ausbildung als Zerspanungsmechaniker an, aber brach diese nach wenigen Monaten ab. Seine Schulfreunde beendeten mit der Zeit die Freundschaft und den Kontakt zu Dennis, da die Drogen zunehmend sein Verhalten veränderten. „Zu dieser Zeit habe ich Dennis kenngelernt. Sobald sein Rausch nachließ, schluckte er die nächste Pille oder setzte sich den nächsten Schuss. War er nicht ‚drauf‘, konnte ihn niemand ertragen. Er schrie herum, machte Dinge kaputt und suchte mit jedem auf der Straße Streit“, erzählt Luka. Dennis nickt zustimmend, während er am Joint zieht. Wegen seiner Körpergröße von knapp 1,90 Meter und seiner korpulenten Figur, schüchterte er sein Gegenüber allein mit seinem Erscheinungsbild ein. Reichte dies nicht aus, ging er auf die Person los, sobald diese ihn aus seiner Sicht provozierte.

Als Jugendlicher schlief er kaum noch zu Hause und war ständig unterwegs. Unzählige Male, stand die Polizei vor der Haustür seiner Familie. „Der Kontakt zu meiner Familie brach schließlich ab, als ich mich nicht mehr zu Hause blicken ließ. Weder ich noch einer aus der Familie scherte sich darum. Anfangs kam es mir wie eine Erlösung vor. Ich zog bei drei Freunden aus der Clique ein und schlief neben meinem neuen WG-Kumpel Joe auf dem Boden in einem Schlafsack. Wir hatten kaum Geld für etwas zu Essen. Unser gesamtes Geld gaben wir für die Drogen und das Stillen des Verlangens aus. An manchen Tagen hatten wir nicht einmal Geld für ein Toastbrot“, erläutert Dennis unruhig, da seinem Körper der momentane Rausch nicht ausreicht. Zu dieser Zeit, gab es keinen Tag, an dem er nicht high war. Der Konsum von Heroin, LSD und Kokain, hielt ihn tagelang wach. Sein Körper magerte immer mehr ab und in seinem Gesicht zeichneten sich die Spuren des Drogenkonsums ab. Dennis verließ die kleine zugemüllte Wohnung nur noch, um sich neuen Stoff zu besorgen. Das Rauschgift finanzierte er sich durch Diebstahl und illegale Geschäfte wie das Handeln mit Drogen und Waffen wie Messer und Schlagringen.

Die erste Nacht auf der Straße

„Natürlich kam es wie es kommen musste. Wir konnten die Wohnungsmiete nicht mehr bezahlen – wovon auch, das ganze Geld brauchten wir für die Drogen und wurden alle aus der Wohnung geschmissen. Ich hatte keine Lust mehr hier in der Siegener Umgebung zu bleiben und packte meinen Rucksack und Schlafsack ein und schaffte es glücklicherweise mit dem Zug bis nach Köln. Dort musste ich mir erstmal einen Schuss besorgen, weil ich nach 17 Stunden ohne Konsum, extreme Entzugserscheinungen bekommen habe“, erzählt Dennis. Während eines Entzugs treten Symptome wie Fieber, Gliederschmerzen und Magenkrämpfe bis hin zum Brechreiz auf und plagen den Betroffenen, bis er sich wieder eine Dosis verabreicht. Laut Dennis wissen Abhängige immer, wo Drogen anzuschaffen sind und er konnte sich endlich einen Schuss mit einem Fremden teilen. Es war für ihn nichts neues eine Spritze in der Öffentlichkeit im Arm stecken zu haben – der einzige Unterschied sei, dass in Köln mehr Leute an einem vorbeilaufen würden, meint Dennis.

„Ich breitete meinen Schlafsack neben dem Mann, mit dem ich mir die Spritze geteilt hatte aus. Am Abend stießen weitere Junkies zu uns und wir tranken Schnaps, um uns warm zu halten. Ich war zwar drauf, aber es war trotz allem komisch die erste Nacht auf der Straße ohne meine Freunde oder eine Person, die ich kannte, zu verbringen“, erinnert sich Dennis während er nervös an seinem Piercing spielt. Er lebte ein halbes Jahr in Köln auf der Straße und finanzierte seine Drogen über das Betteln am Straßenrand. Das Geld reichte kaum aus, um sein immer stärkeres Verlangen nach den Drogen zu stillen. „Ich habe zahlreiche Leute in der Dom-Stadt kennengelernt, die ebenso verzweifelt nach Geld bettelten und sich die letzten Tropfen Heroin teilten, wie ich. Es kam nicht selten vor, dass Frauen anschaffen gingen, um sich danach eine ordentliche Dröhnung geben zu können“, verrät er.

Der Cut – endlich Drogenfrei

Dennis entschloss sein Leben zu ändern und die Stadt zu verlassen, als er morgens aufwachte und von dem tragischen Tod seines besten Freundes erfuhr, dessen Leiche im Gebüsch lag. Der Mann war in seinem Alter und starb an einer Überdosis. „Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits so viele Personen durch die Drogen verloren, dass ich zu dem Entschluss kam, endlich weg von ihnen zu kommen. Ich war es leid, mir ständig neue Schlafplätze auf der Straße zu suchen und von Obdachlosenheimen abgewiesen zu werden, weil ich konsumiert hatte. Ich wollte zurück in die Stadt, wo alles angefangen hat. Also fuhr ich mit dem Zug und meinem Rucksack auf der Schulter zurück nach Siegen“, erzählt Dennis. Luka wartete am Bahnhof auf Dennis und nahm ihn in seine kleine WG auf. Obwohl Luka ebenfalls von Cannabis und Speed abhängig ist, war dies aus Dennis Sicht, das Beste, was ihm passieren konnte. Der damals 21-Jährige hatte erstmalig wieder ein Dach über dem Kopf, hatte ausreichend Lebensmittel, eine Dusche und ein Sofa anstelle des Schlafsack, auf dem er schlief.

Dennis Hände zittern und er wirft eine Pille ein, die bereits in den nächsten paar Minuten ihre Wirkung zeigt und die Unruhe abklingen lässt. „Ich habe vergangenes Jahr einen kalten Entzug gemacht. Seit knapp einem halben Jahr habe ich mir kein Heroin mehr gespritzt. Hätte ich Luka nicht gehabt, wüsste ich, um ehrlich zu sein nicht, wie mein Leben heute aussähe – wahrscheinlich nicht gut. Obwohl ich noch Cannabis rauche und Speed schlucke, geht es mir gut und ich habe kaum noch Entzugserscheinungen abgesehen von meiner Unruhe und den zittrigen Händen“, schildert Dennis. Der Siegener plant in Zukunft gemeinsam mit seinem Freund Lukas einen weiteren gemeinsamen Entzug zu machen, um einem geregelten Alltag einen Schritt näher zu kommen. Aktuell lebt Dennis von dem Geld des Staats und ist noch auf Arbeitssuche. Er hat in den vergangenen Monaten einige Probearbeitsstunden absolviert, jedoch ist es leider nicht zu einer Anstellung gekommen. „Ich möchte meinen Schulabschluss nachholen und mein Traum ist es, die Ausbildung als Zerspanungsmechaniker zu absolvieren und eine eigene Wohnung zu haben. Ich wünsche mir einen Cut. Ein Leben frei von Drogen und all den Problemen“, erzählt Dennis mit einem hoffnungsvollen Lächeln im Gesicht.

Von Tamara Berg
Veröffentlicht am 01.06.2020