Familienalltag während der Corona-Krise

Konflikte im Drei-Generationenhaushalt

#WirbleibenzuHause heißt es auch bei meiner Oma, Mutter und mir. Foto: Tamara Berg

Das Covid-19 verändert den gewohnten Alltag aller Generationen. Aufgrund der drastischen Maßnahmen von der Regierung verbringen die Familien mehr Zeit als gewohnt zusammen und so entstehen zahlreiche Auseinandersetzungen untereinander. Vor welchen Problemen stehe ich als 19-jährige und wie überstehe ich den Tag mit meiner Mutter und Oma im gemeinsamen Haus?

OBERVEISCHEDE. Mit verschränkten Armen vor der Brust und leicht trotzigem Gesichtsausdruck, begrüßte mich meine Oma Reni, als ich von Iserlohn zurück in meine idyllische Heimat, das Sauerland kam. Eine herzliche Begrüßung ist zu Zeiten von Covid-19 kaum noch möglich. Nach einem kurzen „Hallo", fing es auch schon an: „Deine Mutter möchte nicht, dass ich zum Einkaufen fahre", sagte sie mit einem gewissen Unterton in ihrer Stimme und schaute dabei mich und meine Mutter mit vorwurfsvollem Blick an. 

Die Infektionskrankheit Covid-19 oder auch Coronavirus genannt, löst eine Atemwegserkrankung mit Symptomen wie Husten und Fieber aus. Für die ältere Generation und Menschen mit Vorerkrankungen ist der Virus besonders gefährlich. Er wird durch Tröpfcheninfektion beim Husten oder Niesen übertragen. Aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr und immer weiter steigenden Todesfällen, wurden von der Regierung entsprechende Vorkehrungen getroffen. Dazu zählt unter anderem der Mindestabstand von zwei Metern.

Von der Stadt zurück aufs Land

Die Corona-Krise zwang mich wohl oder übel von meiner kleinen geliebten Stadtwohnung in Iserlohn vorübergehend zurück aufs Land zu meiner Familie in unser gemeinsames Haus zu ziehen. Wenn ich sage Land, meine ich Land. In meinem Dorf leben geschätzt mehr Kühe als Menschen. Schaue ich aus den Fenstern sehe ich abgesehen von vereinzelten Häusern jede Menge Wiesen, Kühe und nochmals Wiesen und Kühe. Dementsprechend bin ich nicht sonderlich begeistert, was meine aktuelle Wohnsituation betrifft.

Ich wohne nun seit knapp einem halben Jahr alleine und muss zugeben, dass es gewisse Dinge gibt, die ich in dieser Zeit nicht vermisst habe. Wie zum Beispiel das stundenlange Unkrautziehen oder Rasenmähen im Garten, das jetzt wieder von mir erwartet wird. Typische Angewohnheiten wie mein ausgewogenes Mittagsschläfchen mussten tollen spontanen Ideen wie Fensterputzen weichen. Diese Tätigkeiten ersetzen nun meinen Alltag, den ich sonst an der Hochschule oder mit dem Treffen von Freunden gestaltet habe. 

Die Welt steht Kopf

Und so auch der Alltag meiner Oma Reni, meiner Mutter Alexandra und mir. Natürlich sollten Leute mit Gesundheitsproblemen und höherem Alter nicht das Risiko eingehen und in die nächstgelegene Kleinstadt fahren, um dort Lebensmittel und Haushaltssachen einzukaufen. Aber das einer 81-jährigen Frau zu erklären, die dies normalerweise jeden Donnerstagmorgen tut, gestaltet sich dann doch etwas schwierig.

Nicht mehr selbständig Besorgungen erledigen zu können, ist nicht die einzige deprimierende Einschränkung mit der meine Oma sich ab jetzt für einen noch unbegrenzten Zeitraum traurigerweise abfinden muss. Sie ist im Gegensatz zu meiner Mutter und mir sehr sportlich und geht jede Woche für eine Stunde mit anderen Rentnern begeistert zum Schwimmen und zur Gymnastik. Sie hat zudem einen natürlichen Bewegungsdrang – oder wie meine Mutter sagen würde: „Hummeln im Hintern“ – dem sie nun vorerst kaum mehr nachgehen kann.

Nicht zu vergessen sind ihre geliebten Kartenspiel-Nachmittage mit ihren Freunden. Das gemischte Seniorentrüppchen trifft sich jede zweite Woche und spielt bei einer Tasse Kaffee gemeinsam Rommé.  „Ich vermisse es die langen Gesichter der Fünf zu sehen, wenn ich gegen sie Runde für Runde beim Spielen gewinne“, lacht meine Oma scherzhaft. Aufgrund des Kontaktverbotes fällt das Treffen der fünf leider ins Wasser. Zum Glück bringt der Frühling die ersten warmen Sonnenstrahlen mit sich und meine Oma kann sich mit Spaziergängen mit unserem kleinen Hund die Zeit vertreiben.

Die begehrte weiße Rolle

Da meine Oma schroff gesagt nicht mehr unser Haus oder den Garten verlassen darf, müssen entweder meine Mutter oder ich für sie einkaufen gehen. Zumindest ist Klopapier nun nicht mehr unser Problem, wie es scheinbar bei den meisten Bürgern in Deutschland der Fall ist. Wir waren es leid und haben uns deshalb anders versorgt, indem endgenervt mehrere Rollen im Internet bestellt, weil das Toilettenpapier im Laden fast täglich ausverkauft ist und wir nur noch eine begehrte Rolle für uns drei Frauen zu Hause hatten.

Die explizite Einkaufswunschliste meiner Großmutter, wo detailliert notiert ist, in welchem Discounter welches Lebensmittel zu kaufen ist, ist bedenklicher. Dass meine Mutter und ich in einen einzigen Laden statt in mehrere gehen und darauf verzichten, die Preise in fünf verschiedenen Geschäften zu vergleichen, stößt auf ein riesiges Unverständnis seitens meiner Oma. Unser unterschiedliches Kaufverhalten sorgt während der Corona-Pandemie für die ersten Streitpunkte. Zum Leidwesen meiner Mutter bin ich nicht die begabteste Autofahrerin, weshalb nun sie die meiste Zeit den unbeliebten Job des Einkaufspagen übernehmen.

Mutter und Tochter

Meine Mutter arbeitet als selbständige Logopädin. Das heißt, dass sie auf ihre Patienten angewiesen ist. Durch das Kontaktverbot und die hohe Ansteckungsgefahr vermeiden die Meisten nicht zwingend lebensnotwendige Tätigkeiten. Deshalb ist sie nun häufiger zu Hause. Ich bin von der landesweiten Schul- und Universitäten-Schließung betroffen und habe vom Schreibtisch aus Online-Vorlesungen. Somit sind Konflikte, aber auch die ein oder andere dumme Idee vorprogrammiert. „Wir haben versucht gemeinsam einen Kuchen zu backen. Da wir beide aber nicht die besten Bäcker sind, ist der Versuch einen Zitronenkuchen zu backen kläglich gescheitert“, schmunzelt meine Mama.

Um sich die verbleibende Zeit zu vertreiben, wird der gründliche Frühjahrsputz gleich zwei Mal durchgeführt: Blümchen werden gepflanzt, Rasen wird gemäht und alle lästigen Aufgaben, die wir sonst vor uns herschieben werden jetzt erledigt. Dabei kommt es nicht selten zu erneuten Auseinandersetzungen, warum das dreckige Glas in der Spüle statt in der Spülmaschine steht oder wer die nächste Maschine Wäsche anstellt. Neigt sich der Tag dem Ende, beginnt die Fernsehprogramm-Diskussion und der Versuch sich gegenseitig die TV-Bedienung rasch zu stibitzen. 

Gute Seiten

Obwohl es immer wieder zu kleinen Streitigkeiten zwischen uns kommt, ist es doch schön, gemeinsam den Tag zu verbringen. Neben den, nicht allzu ernsten Diskussionen, dürfen die zahlreichen lustigen Momente natürlich nicht vergessen werden. Highlights, wie das Herunterfallen des Putzeimers aus dem zweiten Stockwerk, der auf dem Auto landete und meine Mutter, die daneben stand, klatsch-nass machte oder mein Versuch unseren Hund vom Winterfell zu befreien, der in einem optisch grauenvollen Desaster endete und zur Folge hat, dass der Kurze jetzt aussieht wie eine Ratte, gehören zu den schönen Seiten.

Es fällt nicht immer leicht, den besagten Mindestabstand einzuhalten, gerade was den Platz am Esstisch betrifft oder den Umgang mit meiner Oma. Seine Freunde für einen längeren Zeitraum nicht zusehen und seinem gewohnten Alltag nicht nach gehen zu können, ist auf die Dauer ziemlich nervenaufreibend. Wir können uns jedoch trotz allem mit der Corona-Krise arrangieren und den Tag bestmöglich meistern und das Beisammensein mit der Familie genießen.

#WirbleibenzuHause

Ein Blick nach links, ein Blick nach rechts. Gut, keiner der Nachbarn guckt und sieht unseren Verstoß gegen den zwei Meter Mindestabstand. „Luftanhalten. Stillstehen. Keiner öffnet jetzt seinen Mund und setzt Viren frei! Los. Los. Los, nun mach endlich schnell das Foto und danach wieder ab ins Haus“, lacht Mama ironisch. Meine Oma, Mutter und ich setzen unsere Masken auf, stellen uns vor die gemeinsame Haustür und halten die Plakate mit der Aufschrift #WirbleibenzuHause vor uns.

Von Tamara Berg
Veröffentlicht am 28.03.2020