Corona-Krise in Frankreich

„Mein Alter ist mein Todesurteil“

Leere Straßen in der Stadt Colmar im Elsass. Foto: Tamara Berg
Die Aussicht von der Terrasse. Foto: Tamara Berg
Das französische Ausgangsformular. Foto: Tamara Berg

Die Zahl der an dem Coronavirus infizierten Personen und Toten, ist in unserem Nachbarland Frankreich enorm. Dementsprechend sind auch die Anordnungen der Regierung radikaler – so auch die Maßnahmen für die Lebenserhaltung und Wiederbelebung. Ab einem Alter von 80 Jahren, werden die Patienten im Krankenhaus nicht mehr beatmet. Das Elsass und die Stadt Colmar, in der Jupp Seiwerts wohnt, sind besonders stark betroffen.

COLMAR. Menschen laufen wie aufgescheuchte Rehe durch die Stadt. Ein kurzer Huster und die paar zu erblickenden Gestalten fliehen ruckartig. Mundschutz und dicke Schals vermummen die Gesichter der Leute. Statt der Hände, schauen blaue Gummihandschuhe aus den Ärmeln hervor. Jeglicher Kontakt wird vermieden. Die Leute sind ständig auf der Hut, nicht von der Polizei erwischt zu werden, wenn sie ein bekanntes Gesicht auf der anderen Straßenseite grüßen.

Freitagabend sechs Uhr – normalerweise würde Jupp, der Bruder meiner Oma, im Auto sitzen und sich auf den Weg zu seinen drei Freunden machen, um gemeinsam Karten zu spielen. Doch heute Abend nicht. Er sitzt gemeinsam mit seiner 74 Jahre alten Lebensgefährtin Maggy, auf der Terrasse bei einem Glas Rotwein und schaut sich die Stadt aus der Ferne an. Maggy würde sich in der Regel in der Stadt mit ihren Freundinnen auf einen Kaffee treffen oder ihre Tochter und die beiden Enkelinnen besuchen. Leider ist seit fünf Wochen nichts davon mehr möglich.

Seit Wochen spielt die Stereoanlage für die Partys der Nachbarn keine Sommerhits und Charts mehr. Von heiterer Stimmung und geladenen Gästen mal ganz abgesehen. „Ich mache mich auf den Weg zu meinen Freunden und entfliehe der lauten Musik, sobald sie aus dem Nachbarhaus erdröhnt. Die jungen Leute und ihre Partys“, schmunzelt Jupp. In ganz Frankreich herrschen Ausgangsperren, Kontaktverbote und strikte Regeln, um das Coronavirus im Zaun zu halten. Wer gegen die Maßnahmen verstößt, muss mit einem saftigen Bußgeld von 150 Euro rechnen.  

Keine Beatmung ab 80 Jahren

Die Krankenhäuser in Frankreich stoßen an ihre Grenzen. Überfüllte Betten und frühere Patienten liegen heute als Leichen in weißen Säcken in den Schlafräumen der Pfleger, so die waz. Weltweit gibt es mehr als 193.000 Todesfälle – allein in Frankreich, kostete das Coronavirus bereits über 22.000 Menschen das Leben (stand 24. April 21.30 Uhr). Aufgrund der extrem hohen Zahlen kam die französische Regierung zu dem Entschluss, dass die Patienten in den Krankenhäusern nur bis zu ihrem 80. Lebensjahr beatmet werden dürfen. Zu gering sei die Überlebenschance der Erkrankten in solch einem hohen Alter, so die Sprecher zu den Nachrichtenagenturen.

„Ich habe zwar nicht direkt Angst, weil ich die Sicherheitsmaßnahmen einhalte und mich schütze. Jedoch ist es ein komisches Gefühl zu wissen, dass ich mit meinen 86 Jahren nicht erkranken darf. Geschieht dies und ich werde ins Krankenhaus eingeliefert, muss ich sterben, wenn ich auf die Beatmungsgeräte angewiesen bin", so Jupp. „Ich weiß, dass ehemalige Arbeitskollegen von mir an der Infektionskrankheit erkrankt sind. Das bereitet mir schon gewissermaßen Sorgen. Dazu kommt, dass die Patienten aufgrund des Platzmangels auf Krankenhäuser ins Ausland aufgeteilt werden müssen, die selbst an Platzmangel leiden.“, erzählt er im Gespräch am Telefon.

Formular für Freiheit

Notwendige Einkäufe werden im Internet vorbestellt und können zu einem festgesetzten Termin abgeholt werden. Dringende Arztbesuche müssen vorher telefonisch abgeklärt werden. Das Haus soll nur verlassen werden, wenn es zwingend notwendig ist, so die Vorschriften der Regierung. „Es gibt spezielle Ausgangsformulare. Diese drucken und füllen wir vorher zuhause aus. Wir müssen sie immer mit uns führen, wenn wir unser Haus verlassen möchten. Falls wir in die Stadt fahren und ein Geschäft betreten möchten, ist dies nur so möglich. Pro Geschäft gilt ein Formular“, erklärt Jupp.

Die Straßen sind nun gefüllt mit Polizisten in Uniformen. Sie patrouillieren und kontrollieren die Personen. Laut der dpa, werfen verärgerte Bürger den Beamten Polizeigewalt vor. „Ist jemand nicht befugt in einen Laden zu gehen, muss er mit einer Strafe von 250 Euro rechnen, falls er erwischt wird“, erklärt Jupp. Er ist der Meinung, dass sich der Alltag für alle erleichtern würde, wenn die vorgeschriebenen Maßnahmen, wie beispielsweise das Mitführen des Formulars leicht gelockert werden würden. Aus seiner Sicht wird die Epidemie wahrscheinlich noch einige Monate andauern.

Frankreich ist im Krieg mit dem Virus

Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte in seiner Rede: „Nous sommes en guerre“- „wir sind im Krieg“. Gemeint ist damit, dass Frankreich im Krieg mit dem Coronavirus steht. Der Präsident appelliert an die Bürger, dass sie zu Hause bleiben sollen, um sich nicht zu gefährden. Die Gesundheit sei unbezahlbar. Aus diesem Grund bleiben die Schulen weiterhin geschlossen und die meisten Arbeitnehmer müssen über Homeoffice arbeiten. Wirtschaftsexperten sind der Meinung, dass die Staatszuschüsse erhöht werden müssen, damit in Frankreich keine Wirtschaftskrise ausbricht. „Besonders kleine Läden in Colmar haben mit der aktuellen Situation zu kämpfen, deshalb sind Zuschüsse für sie überlebenswichtig“, meint der Bruder meiner Oma.

Es ist 18.30 Uhr, ich fahre meinen Computer hoch und fange an den Artikel zu verfassen und zu recherchieren. Ich schlürfe an meinem Cappuccino. Der Corona-Live-Ticker zeigt an, dass in Frankreich 21.875 Todesfälle gemeldet sind. Knapp zwei Stunden später schaue ich erneut auf den Liveticker. Mir läuft ein Schauer über den Rücken - die Zahl der Toten ist auf 22.245 gestiegen. Frankreich zählt zu den am stärksten betroffenen Ländern der weltweiten Coronavirus Epidemie und hat nach Italien und Spanien die höchste Zahl an Todesfällen in Europa. Bei dem Gedanken, dass in Frankreich das Alter zwischen Leben und Tod entscheidet, bekomme ich Angst um meine Familie. 

Von Tamara Berg
Veröffentlicht am 26.04.2020