Rat und Tat für Flüchtlinge aus aller Welt

Jens Keienburg hat immer ein offenes Ohr für die Probleme der Asylbewerber in Iserlohn. Foto: Linda Nitsch

Iserlohn. Wie maerkzettel.de letzten Samstag berichtete, steigt die Zahl der Asylbewerber in NRW, ohne dass ausreichend Wohnraum zu Verfügung steht. Was dies für die Flüchtlinge bedeutet, erklärt Jens Keienburg, zentraler Ansprechpartner bei der Flüchtlingsberatung Iserlohn, im Interview.

Maerkzettel: Herr Keienburg, wie sind Sie zu Ihrem Beruf als Flüchtlingsberater gekommen?
Keienburg: Für mich war schon relativ früh klar, dass ich im sozialen Bereich arbeiten möchte. Daher habe ich an der Fachhochschule Hagen Sozialwesen studiert. Als ich Mitte der Neunziger angefangen habe, in meiner Freizeit an den wöchentlichen Treffen des „Café International“ teilzunehmen, begann ich, mich besonders für Flüchtlinge zu interessieren. Das „Café International“ wurde damals von der evangelischen Erlöserkirchengemeinde Iserlohn ausgerichtet und stellte ein Treffen speziell für Flüchtlinge und interessierte Deutsche dar. Die Asylbewerber konnten sich bei Kaffee und Kuchen über ihre Situation austauschen und bekamen von uns Informationen über die derzeitige Situation in ihrem Heimatland. Dann wurde irgendwann die Stelle in der Flüchtlingsberatung frei und ich habe mich sofort darauf gemeldet.

Maerkzettel: Warum haben Sie sich denn ausgerechnet auf diese Stelle gemeldet? Was stellt Ihre Motivation dar, in diesem Metier zu arbeiten?
Keienburg: Ich möchte den Flüchtlingen helfen, das Beste aus ihrer eingeschränkten Situation hier in Deutschland zu machen.

Maerkzettel: Eingeschränkt? Was genau meinen Sie damit?
Keienburg: Es gibt einige Punkte, die zu dieser schwierigen Situation beitragen. Zunächst werden die Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Deutschland einer Unterkunft in irgendeiner Stadt in Nordrhein-Westfalen zugewiesen. Sie haben keinerlei Einfluss darauf, wo sie landen. Zudem herrschen in den Unterkünften oft miserable Zustände. Die Flüchtlinge müssen sich ihr Zimmer mit drei oder vier Unbekannten teilen. Da treffen fremde Kulturen, unterschiedliche Charaktere, Raucher und Nichtraucher und jegliche Gesinnungen aufeinander. Es gibt meistens nur eine Küche und ein Badezimmer für 15 bis 20 Personen. Das ist dann nur schwer sauber zu halten, wodurch oft katastrophale hygienische Umstände herrschen.

Maerkzettel: Gab es in Ihrer Berufslaufbahn besonders bewegende Momente? Die Ihnen außerordentlich nahe gegangen sind?
Keienburg: Auf jeden Fall. Erst vor Kurzem ist eine Frau, die ich aus der Beratung kenne, zum Verwandtschaftsbesuch nach Serbien gefahren. Sie und ihre Familie sind Roma. Die Situation der Roma in Serbien ist katastrophal. Viele Roma-Siedlungen werden zwangsgeräumt, wodurch eine hohe Obdachlosenrate besteht. Zudem gibt es keine Gesundheitsversorgung und wenig bis keine Sozialhilfe. Die Frau fand ihre Familie schließlich unter einer Brücke. Unter dieser Brücke lebten sie seit einiger Zeit. Da die Frau ein Video machte, konnte ich mir selbst ein Bild von den Umständen dort machen. Das war menschenunwürdig, der absolute Horror. Mir ist ganz anders geworden, als ich das gesehen habe.

Maerkzettel: Beschäftigen Sie solche Erfahrungen auch über die Arbeit hinaus?
Keienburg: Ja, definitiv. Auch Zuhause denke ich weiter über die Probleme der Flüchtlinge nach und überlege oft stundenlang, wie man die Situation erträglicher machen könnte.

Maerkzettel: Haben Sie das Gefühl, dass in Iserlohn viele Vorurteile gegen Asylbewerber bestehen?
Keienburg: Zum Glück halten sich Vorurteile gegen die Flüchtlinge hier sehr im Rahmen. Natürlich gibt es einige Ausnahmen. Die Diskriminierung ist meist eher versteckter Art. Ein Flüchtling berichtete mir zum Beispiel vor Kurzem, er sei von einem Ladendetektiv in einem Kaufhaus beschuldigt worden, gestohlen zu haben. Dieser Verdacht erwies sich allerdings als falsch. Der Mann erhielt keine Erklärung, warum ausgerechnet er beschuldigt wurde. Eine Entschuldigung gab es auch nicht.

Maerkzettel: Wie gehen Sie mit solchen Vorurteilen um?
Keienburg: Ich versuche, die Leute über die Situation der Flüchtlinge aufzuklären. Viele Menschen kennen die Lebensverhältnisse im Heimatland der Flüchtlinge überhaupt nicht. Keiner verlässt seine Heimat freiwillig. Häufig habe ich Leute hier sitzen, die einen guten Job in ihrer Heimat hatten, sie waren zum Beispiel Lehrer oder Ingenieure und verdienten gutes Geld. Das haben sie sicherlich nicht auf Spaß aufgegeben um sich nun in Deutschland mit mehreren Unbekannten ein kleines Zimmer zu teilen. Aber wie gesagt, hier in Iserlohn spielen solche Vorurteile zum Glück wenig bis keine Rolle. Bei der Flüchtlingsberatung habe ich bisher jedenfalls kaum Beschwerden gehört.

Von Linda Nitsch
Veröffentlicht am 25.10.2012