Reportage

Ab in die Grube – Plettenberger Geschichte unter Tage

Grubenführer Thomas Jampe in der Bleierzgrube "Neu Glück" in Plettenberg. Foto: Julia Schuchardt.
Thomas Jampe klärt die Gruppe über die Beleuchtung in Gruben auf. Foto: Julia Schuchardt.
Das Gewicht eines kleinen Klumpen Bleis hat die Gruppe überrascht. Foto: Julia Schuchardt.
In den schmalen Stollengängen musste man sich bücken, um sich nicht den Kopf anzuschlagen. Foto: Julia Schuchardt.
Das Bergmanns-Werkzeug Schlägel und Eisen war der Gruppe bekannt. Foto: Julia Schuchardt.
An manchen Stellen in der Grube steht Wasser knöchelhoch. Foto: Julia Schuchardt.
Grubenführer Thomas Jampe zeigt der Gruppe, wie Schlägel und Eisen richtig verwendet werden. Foto: Julia Schuchardt.
Einige Abschnitte der Grube werden mithilfe von Holzbalken gestützt. Foto: Julia Schuchardt.
Die Heilige Barbara ist die Schutzpatronin der Bergmänner und befindet sich in der Regel in jedem Bergwerk. Foto: Julia Schuchardt.
Einige Gänge sind dank Sprengarbeiten zu späteren Zeitpunkten deutlich breiter. Foto: Julia Schuchardt.

PLETTENBERG. Da kommt er, unser Grubenführer Thomas Jampe. Bekleidet mit weißer Jacke und Hose, gelben Gummistiefeln, einem Helm auf dem Kopf und einer Lampe um den Hals. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich seinen Ohrring: Schlägel und Eisen, das Symbol für den Bergbau. Mir kommen direkt zwei Gedanken: Er hat bestimmt jede Menge Ahnung rund um das Thema Bergbau, und er bringt wahre Freude daran mit. Das können bestimmt zwei spannende Stunden in der Bleierzgrube „Neu Glück“ werden.

Am vergangenen Samstag fand die erste Führung in diesem Jahr der Grube „Neu Glück“ in Plettenberg statt. Sie ist die einzige öffentlich begehbare Grube von ehemals 120 Stück im Raum Plettenberg. „Der Bergbau in Plettenberg lässt sich auf 900 Jahre zurückverfolgen“, berichtet Thomas Jampe. 1655 wurde angefangen Kupfer, Blei, Zink und Eisenerz abzubauen. Bis ins 18. Jahrhundert war der Stollenabschnitt „Neu Glück“ in Betrieb. Andere Gruben in der Umgebung waren noch länger funktionsfähig. Die Letzte wurde Anfang der 1950er Jahre geschlossen. 

Die Bleierzgrube „Neu Glück“ geriet in Vergessenheit, nachdem sie nicht mehr ergiebig genug war und letztendlich geschlossen wurde. 2006 wurde die Grube beim Tunnelbau für die Umgehungstraße „Westtangente“ wiederentdeckt. Knapp zwei Jahre später ist das Besucherbergwerk entstanden und lockt seitdem zahlreiche Touristen an.  

Die ersten Meter unter Tage

Bevor es in die Grube hinein geht, bekommen wir draußen erst noch einige Informationen zu der Geschichte und Umgebung der Grube. Als Fahrradfahrer an unserer Gruppe vorbeifahren, grüßt Thomas Jampe diese mit „Glück auf“ und hinterlässt bei uns allen ein Schmunzeln. Und dann heißt es auch schon „Schnappt euch einen Helm und los geht’s.“ Wir gehen die Treppe hinauf und blicken das erste Mal in die Grube. Wir sehen noch nicht viel, es ist recht dunkel. Wir setzen uns die blauen Helme auf, die sich zuerst sehr kühl auf dem Kopf anfühlen. Mit den ersten Schritten, die wir hineinwagen, wird es prompt kühler. Nur das Licht von unserem Grubenführer und die einzelnen Strahler an den Wänden leuchten uns den Weg.

Wie aus dem Nichts ertönt plötzlich Musik. Schnell erkennen wir das Lied. Es ist das Steigerlied „Glück auf, der Steiger kommt“. Nach einigen Metern machen wir unseren ersten Stopp und hören das Lied noch bis zum Ende. Währenddessen geht mein Blick von rechts nach links, von oben nach unten. Auch bei den anderen Besuchern sieht das ähnlich aus. „So, jetzt sind wir eingefahren“, erzählt Thomas Jampe freudig. Nach dem letzten Klang des Bergmannslieds lehrt uns unser Grubenführer, dass ein Besuch einer Grube eine Befahrung ist. Die Bewegung von Bergleuten unter Tage wird als Fahren bezeichnet. Wer hätte das gedacht. Meine Cousine und ich gucken uns verwundert an. Immer wieder höre ich es tropfen, doch nie kann ich einordnen, aus welchem Gang es kommt. Lehne ich mich zu nah an das Gestein der Grube, spüre ich sofort Kälte an meinem Rücken. 

Verwendung des Plettenberger Bleis

Hauptabnehmer des Plettenberger Bleis waren die Städte Paderborn und Köln. Genau dort steht auch die wohl bekannteste Verwendung des Bleis, nämlich der Kölner Dom. Aus dem Blei wurden damals auch Wasserrohre und elektrische Leitungen gefertigt, erzählt uns Thomas Jampe. Um uns zu zeigen, wie schwer Blei wirklich ist, legt er uns ein kleines Stück in die Hand. Es wird nacheinander herumgereicht bis mir meine Cousine das Stück in die Hand legt. Damit habe ich nicht gerechnet. Meine Hand macht einen kleinen Satz nach unten, sodass ich meine rechte Hand dazu nehme. Es ist deutlich schwerer als es aussieht. 

Bevor wir weitergehen, klärt uns unser Grubenfrüher über die Beleuchtung damals unter Tage auf. Von Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Wetterlampe benutzt. Sie war die klassische Grubenlampe, die sogar Gase messen konnte. Besonders viel Licht gab diese jedoch nicht ab. Zuvor wurden einfach nur Ölleuchten und Kerzenlicht verwendet. Abgelöst wurde die Wetterlampe dann durch die ersten elektrischen Lampen. So eine bekomme ich dann auch in die Hand gedrückt als es heißt, dass wir weiterziehen.

Zwölf-stündige harte Arbeit

Ich bilde damit das Schlusslicht und gehe nach den anderen den linken Weg entlang. Ehe ich mich versehe, stoße ich mir auch schon den Kopf an. Von nun an gehe ich leicht nach vorne gebeugt den sehr schmalen Weg entlang. Groß durften die Bergleute damals wohl nicht sein, geschweige denn viele konnten sich in den Gängen aufhalten. Bei unserem zweiten Halt zeigt uns Thomas Jampe das Bergmannswerkzeug. Schlägel und Eisen und ein Erztrug, zum Abtransportieren des Erzes, waren damals die einzigen Werkzeuge, die sie zur Verfügung hatten. Sprengmittel gab es erst zu einem späteren Zeitpunkt. Dafür brauchte man insgesamt zwölf Bohrlöcher, die jeweils einen Meter tief waren. In einer Schicht, die wohlgemerkt zwölf Stunden dauerte, schafften die Bergleute drei Bohrlöcher, erzählt uns Jampe.

Selbst Hand anlegen dürfen wir nun auch. Ich packe mir Schlägel und Eisen. Wieder einmal deutlich schwerer als ich dachte. Immer wieder schlage ich zu, doch nicht viel passiert. Laut ist es zudem auch, wenn man das Eisen auf den Schlägel schlägt. „In dem Tempo waren die Bergmänner damals aber nicht unterwegs, das ging deutlich schneller“, erwähnt unser schmunzelnder Grubenführer. Die Vorstellung, diese Arbeit zwölf Stunden am Tag und das Jahr für Jahr zu machen, ist für mich schwer vorstellbar. Immer mehr Achtung bekomme ich vor diesem Beruf. Was ein Knochenjob! Nur rund ein bis fünf Zentimeter schafften die Bergmänner am Tag. Unvorstellbar, aber als ich die Arbeit selbst verrichte, leuchtet es mir ein.  „Das Durchschnittsalter eines Bergmannes lag bei 25-30 Jahren“, erwähnt Thomas Jampe. Wir stehen mit offenem Mund dar. „Die Leute sahen dann aus wie heute mit 60, 70 Jahren, einfach kaputt.“ Immer wieder bin ich entsetzt und erschrocken.

Dreistufen-Abbau

Nun wartet ein kleines Experiment auf uns. Ich schalte meine Lampe um und zwar auf rotes Licht. Thomas Jampe verlässt uns, geht den Gang zurück, um die Lichter an den Wänden auszuschalten. Zack – Es ist stockdüster. Mein rotes Licht gibt auch nicht viel Helligkeit her. „Bloß nicht auf den Knopf drücken“, ermahnen mich die Anderen. Kaum vorstellbar, wie man bei der geringen Beleuchtung damals arbeiten konnte, geschweige denn Blei von Gestein unterscheiden konnte. Immer wieder tropft es von oben hinunter und ich erkenne auf dem Boden eine Art Abfluss in dem Wasser steht. Es geht weiter für uns und plötzlich bin ich sehr dankbar für meine wasserdichten Gummistiefel. Die Anderen, die teils mit nur Sportschuhen oder sogar Lederschuhen hier sind, beneiden mich in diesem Moment. Es geht wieder durch einen schmalen Gang, der mit Wasser gefüllt ist. Es platscht ganz schön, als wir alle geduckt hindurchgehen. Und wieder einmal schlage ich mir den Kopf an. So groß bin ich doch eigentlich gar nicht. Das Wasser steht uns bis über die Knöchel. 

Was wir dann sehen können, ist der Dreistufen-Abbau. Dieser hat es den Bergleuten ermöglicht, zu dritt hintereinander arbeiten zu können. Diese Art des Abbaus kann man nur noch selten besichtigen, berichtet uns Thomas Jampe. Dank dieser Methode kamen die Bergmänner deutlich schneller mit ihrer Arbeit voran. Andere Gruben, die durch die Enge der Stollengänge eingeschränkt waren, konnten nicht von dieser Art des Abbaus profitieren. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Gänge noch schmaler sein könnten. Schließlich muss das abgebaute, schwere Blei ja auch noch bis zum Ausgang getragen werden. Ich muss einfach nur mit dem Kopf schütteln.

Grube als Luftschutzkeller

„Zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges diente dieser Teil der Grube, wo wir uns gerade befinden, als Luftschutzraum“, erwähnt Thomas Jampe. An mehreren Stellen der Plettenberger Gruben fanden jeweils 100-200 Leute Schutz vor Bombardierungen. Sie saßen auf dem kalten, nassen Boden nur mit ihren wenigen Habseligkeiten, die sie noch mitnehmen konnten. Die Vorstellung, wie in diesem kleinen Abschnitt der Grube „Neu Glück“ knapp 200 Leute Platz gefunden haben sollen, ist für mich unvorstellbar. Die Kälte lässt uns zittern. Der Gedanke, dass sein Zuhause womöglich gerade bombardiert wird und einem die Zukunftsängste plagen, sind für mich schon nur durch die Vorstellung dieser Situation kaum zu ertragen. Es wird stiller in unserer Gruppe. Ich merke, dass ich nicht alleine bin mit diesem Gedanken.

Tageslicht wieder in Sicht

Knapp zwei Stunden haben wir uns nun unter Tage in dem Stollenabschnitt der Grube „Neu Glück“ befunden. Es kam mir gar nicht so lange vor. Thomas Jampe öffnet die Tür und meine Augen werden klein. Draußen scheint die Sonne. Ich setze den Helm ab und schaue ein letztes Mal in die Grube hinein. Mit den Worten „Danke für den Besuch, das Interesse und ein herzliches Glück auf“, verabschiedet sich unser Grubenführer von uns. Ich merke, wie viel Freude unser Grubenführer daran hat, sein Wissen an andere Menschen weiterzugeben. Thomas Jampe erwähnt zum Schluss, dass er selbst 18 Jahre lang im Bergwerk gearbeitet hat. Gedacht habe ich mir das schon. Jemand, der nicht selbst diese Erfahrungen im Bergwerk gemacht hat, kann nicht so berührend davon erzählen. Zwei spannende Stunden unter Tage gehen vorbei und hinterlassen bei mir sehr viel Achtung und Respekt vor dem Bergbau.

Von Julia Schuchardt
Veröffentlicht am 09.04.2019