Das Leben als Auswanderer

„Die Ruhe, die Freiheit, die Verbindung zur Natur“

Der Auswanderer Michael Schmidt. Foto: Privat
Michaels Geländewagen mit dem Haus im Hintergrund. Foto: Privat
Die ersten Sonnenstrahlen scheinen auf das Grundstück. Foto: Privat
Drei Hühner picken an der Wassermelone. Foto: Privat
Das liebevoll dekorierte Schild am Hühnerstall. Foto: Privat
Michaels treue Begleiter. Foto: Privat
Das Beet für Gemüse und Salat. Foto: Privat
Sein Muli (Maultier) Foto: Privat

Immer mehr Leute träumen von einem Leben im Ausland, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Sie sehnen sich nach Freiheit und Unabhängigkeit – so war es auch beim gebürtigen Schwelmer Michael Schmidt. Doch sieht der Alltag eines Auswanderers wirklich so ausgeglichen und unbeschwert aus, wie es die meisten Menschen vermuten?

OBERVEISCHEDE/PORTALEGRE. Vor zwei Jahren, verwirklichte der 56-jährige Michael Schmidt seinen Traum und wanderte aus. Er kaufte spontan im September 2017 ein Grundstück in der Region Alentejo, Portalegre in Portugal und lies sein altes Leben in Deutschland hinter sich. Als er sich einen Monat nach dem Kauf erstmals das Grundstück vor Ort anschaute, gab es nur ein Haus aus Holz, eine Solaranlage und einen Brunnen, der mit einer elektrischen Pumpe betrieben wird. Sein Leben in Portugal finanziert Michael sich durch Mieteinnahmen aus Deutschland.

„Ich liege im Bett und nehme mir vor, was ich alles erledigen möchte. Nach dem Aufstehen, trinke ich eine Tasse Kaffee, rauche eine Zigarette und lausche dabei den Geräuschen der Natur. Die Ruhe ist gefüllt mit dem Rauschen des Windes und dem Zwitschern der Vögel“, erzählt Michael. Zuerst füttert er seine zwei Hunde, sechs Hühner und einen Hahn, eine Katze, acht Kätzchen und ein Muli, Maultier. Danach spaziert er über sein knapp 62.500 Quadratmeter großes Grundstück. Er begutachtet seinen selbstgezogenen Salat, das saftige Obst und Gemüse und geht durch die kleinen Gewächshäuser, die Gemüsegärten und Obstbaumreihen. Auf dem Weg fallen ihm täglich immer neue Dinge auf, die verbessert oder repariert werden müssen, wie eine umgefallene Pflanze, ein undichter Schlauch, oder notwendige Reparaturen am Hühnerstall. All diese Aufgaben gehören zu dem Alltag des Auswanderers.

Unabhängige Selbstversorgung

Michael ernährt sich zum Großteil von seinen selbstangebauten Lebensmitteln. Auf dem Grundstück wachsen 48 Olivenbäume, sowie zahlreiche Obst- und Zitrusbäume. In Beeten zieht er verschiedene Beerensorten, sowie Tomaten, Paprika bis hin zu Sellerie, Kräutern und Gemüsesorten. „Leider muss ich aktuell noch einige Dinge einkaufen. Doch Obst, Gemüse und frische Eier, stehen mir dank meines Gartens und den Hühnern, ausreichend zur Verfügung. Mein Ziel ist es jedoch, weiter anzubauen und viele Fähigkeiten zu optimieren“, sagt der Auswanderer.  Dazu möchte er das Brotbacken und Tiere schlachten erlernen, damit er sich vollständig selbst versorgen kann. Da der nächste Markt elf Kilometer von seinem Grundstück entfernt ist, nutzt er anstatt seinen Muli, lieber eins seiner zwei Autos.

Eine von der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse veröffentlichte Studie zeigt, dass die Tendenz nach dem Wunsch als unabhängiger Selbstversorger zu leben, wie Michael es ist, in Deutschland steigt. Neben der Selbstversorgung plant Michael den Wiederaufbau einer Ruine. Zudem möchte er sich noch zwei Schweine, eine Kuh, Ziegen, Enten und Alpakas anschaffen, sowie einen großen Teich anlegen und das komplette Grundstück einzäunen. „Für meine Familie, Freunde und Work and Traveller möchte ich Unterkünfte in Form von Holzhäusern bauen und eine Scheune zu einem Lager umfunktionieren. Ich genieße es, Besuch und Gesellschaft zu haben, aber fühle mich dennoch nie einsam. Wenn ich mal allein bin, habe ich schließlich immer noch die Tiere. Außerdem kann ich jederzeit meine Familie anrufen“, erzählt er. Seine beiden Töchter und Personen, die ihm nahestehen und in Deutschland leben, kommen ihn regelmäßig besuchen, sowie seine Nachbarn die einen Kilometer von ihm entfernt wohnen. 

Zurück nach Deutschland? Die Gefahr beim Auswandern

„Ich habe momentan nicht das Bedürfnis zurück nach Deutschland zu ziehen und kann es mir auch nicht vorstellen. Trotzdem schließe ich es nicht aus, dass sich meine Meinung in den nächsten fünf oder zehn Jahren ändert“, meint Michael. In Deutschland war er Geschäftsführer eines Pflegeheimes und hatte das Gefühl, dass ihm als Privat- und Geschäftsperson immer mehr die Eigenverantwortung genommen wurde und beschloss dies zu ändern. „Ich träumte schon lange von einem unbeschwerten Leben im Ausland. In den südlichen Ländern Europas, bietet sich die Möglichkeit, viele Pflanzen ganzjährig anzubauen und zu ernten. Auch die positive Mentalität der Einwohner in Portugal war ein Grund für mich, hierherzuziehen“, berichtet Michael.

Michaels Einstellung teilen immer mehr Menschen. Im Jahr 2018, wurden 1,18 Millionen Auswanderer aus Deutschland gemeldet. Im Vergleich wurden im selben Jahr rund 1,59 Einwanderungen nach Deutschland registriert. Zu den beliebtesten Zielländern gehören die Schweiz, USA, Österreich, Großbritannien, Türkei und Frankreich, so die Tageszeitung Welt. Der Trend im Ausland zu leben steigt, doch damit auch die Risiken. Die wohl bekannteste Gefahr ist die „Geldabzocke“, berichtet die Zeit Online. Immer wieder ständen deshalb Auswanderer vor dem existenziellen Aus. Das ZDF berichtet in einem Onlinebeitrag, dass aufgrund der Corona-Krise besonders viele Auswanderer vor dem beruflichen Bankrott stehen. Laut Michael sei dies bei ihm glücklicher Weise nicht der Fall. Die einzige Einschränkung, die er wegen der Corona-Krise hätte, ist, dass er auf dem Markt eine Maske tragen müsse.

Die letzten Sonnenstrahlen

Michael lebt nun seit zwei Jahren in Portugal das Leben, von dem er schon so lange geträumt hatte. Der Auswanderer hat auf seinem Stück Land das gefunden, wonach er sich sehnte – die Ruhe, die Freiheit und die Verbindung zur Natur.  Er hat mehrere Tiere, um die er sich täglich liebevoll kümmert. Seine zwei treuen Hunde begleiten ihn auf Schritt und Tritt über das große Grundstück, während er sich all das anschaut, was er in den vergangenen Jahren erschaffen hat. Er kann sich mittlerweile überwiegend selbst versorgen und kommt mit jedem Tag dem Schritt der Unabhängigkeit ein bisschen näher. Michael überlegt jeden Tag aufs Neue, wie er sein Grundstück für sich, seine Familie und Reisende zu dem perfekten Ort machen kann.

Der Tag neigt sich dem Ende zu. Michael läuft seine letzte Runde über sein großes Grundstück und wird von seinen beiden Hunden begleitet. Er schaut nach dem Rechten und streichelt seinen dunkelbraunen Esel. Er genießt die letzten warmen Strahlen der untergehenden Sonne. Die sechs Hühner und der Hahn legen sich zur Ruhe und ziehen sich in ihren gebauten Hühnerstall zurück. Die Kätzchen kuscheln sich aneinander – eine Schwarze träumt bereits friedlich. Michael schlendert über die Wiese zurück zu seinem Haus und setzt sich auf die Veranda und schaut über sein Grundstück, was er sich am Morgen vorgenommen hatte. „Wenn ich dann abends auf meiner Veranda sitze, muss ich feststellen, dass ich nur einen Bruchteil dessen, was ich mir morgens vorgenommen hatte, geschafft habe. Es ist die Ruhe, die Freiheit, die Verbindung zur Natur und die Freundlichkeit der Menschen, die in der Nähe wohnen, die ich an diesem Ort so liebe“, erzählt Michael glücklich.  

Von Tamara Berg
Veröffentlicht am 17.05.2020