Wahl-O-Mat und Co.

Digitale Entscheidungshilfen im Europawahlkampf - Sinnvoll?

Digitale Wahlhelfer: Entscheidungshilfe für Unentschlossene oder doch nur reine Zeitverschwendung? (Foto: Pixabay)

Nächste Woche ist es soweit: Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union wählen zum neunten Mal das Europäische Parlament. Das Angebot an digitalen Entscheidungshilfen vor solchen Wahlen ist groß. Das bekannteste Tool ist wohl der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung. Gerade jetzt ist dieser wieder heiß begehrt. Doch kann man mit den Ergebnissen überhaupt etwas anfangen oder sind sie reine Zeitverschwendung? KOMMENTAR.

Mehr Durchblick bei der Europawahl
Von Julia Schuchardt

EUROPA. Die Europawahl steht unmittelbar vor der Tür. Knapp 65 Millionen Deutsche können am kommenden Wochenende von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Die Qual der Wahl, würde manch einer sagen. Doch es gibt Abhilfe: Tools wie der Wahl-O-Mat sollen Klarheit bringen. Ebenso der Faktencheck „Wahlwatch“ des WDR, der Behauptungen von Parteien und Politkern überprüft. Die Ansichten dazu sind zwiegespalten. Doch warum kann es sogar sinnvoll sein, Tools wie diese als Orientierungshilfe zu nutzen?

Wen soll ich wählen? Diese Fragen stellen sich vermehrt Jung- und Erstwähler. Wer sich noch nicht sicher ist, bei welcher Partei persönlich das Häkchen gesetzt werden soll, kann den altbekannten Wahl-O-Mat zur Entscheidungshilfe herbeiziehen. Das Frage-Antwort-Tool wurde 2002 von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) zu Gunsten vieler Nutzer ins Leben gerufen. Es wird Stellung zu mehreren Thesen bezogen, die mit „stimme zu“, „neutral“ oder „stimme nicht zu“ beantwortet, oder aber übersprungen werden. In der anschließenden Auswertung kommt heraus, inwieweit die eigenen Vorstellungen mit denen der Parteien übereinstimmen.  

Mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass der Wahl-O-Mat keine konkrete Wahlempfehlung ausspricht, sondern lediglich als Orientierungshilfe dient, ist das Tool sehr nützlich. Vor Beginn der Fragen wird genau darauf auch unmissverständlich hingewiesen. Der Test bringt dem Nutzer die umfangreichen Wahlprogramme gefiltert näher, ohne dem Nutzer die Entscheidung dabei abzunehmen, was auch gut so ist. Die kompakten Übersichten der Parteien, ihre Ansichten und Ziele bieten eine praktische Alternative zur Lektüre der Wahlprogramme, die nicht jedermanns Sache ist.

Vielmehr hinterlässt das Ergebnis anschließend ein Gefühl, sich näher informieren zu wollen. Weitere Informationen zu den Parteien lassen sich anzeigen sowie die Begründungen dieser zu den einzelnen Thesen. Wem das nicht reicht, oder Interesse an bestimmten Themen bekommen hat, werden keine Grenzen gesetzt, sich darüber hinaus weiter zu informieren. 

Motivation zur Stimmabgabe

Die Idee des Wahl-O-Mats stammt ursprünglich aus den Niederlanden und wurde in vielen europäischen Ländern übernommen. Er motiviert besonders die jungen Wähler zur Stimmabgabe. Thomas Krüger, Chef der bpb, erwähnte in einem Interview mit Deutschlandfunk, dass rund sechs Prozent der Wahl-O-Mat-Benutzer vorher nicht die Absicht hatten, wählen zu gehen. Doch durch die Auseinandersetzung mit den Positionen der Parteien haben sie sich doch dazu entschlossen, an der Wahl teilzunehmen. „Von daher ist es sicherlich eine ganz gute Möglichkeit, über den Wahl-O-Mat spielerisch sich an diese inhaltlichen Positionierungen der Parteien anzunähern", sagt er.

Die einzelnen Standpunkte der Parteien beruhen natürlich nicht nur auf den 38 Thesen anlässlich der Europawahl. Es sind lediglich Ausschnitte aus den Themen und nicht repräsentativ für alle Bürger. Was Sinn macht, da für den einen die Verkehrspolitik und für den anderen die Digitalisierung wichtiger ist. Aus diesem Grund handelt es sich ja schließlich um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Positionen der Parteien. Vor diesem Hintergrund eignet sich der Wahl-O-Mat als Angebot der politischen Bildung, besonders eben für Jung- und Erstwähler. 

Passgenau für die jüngeren Wähler

„Sind die Aussagen der Politiker im Europawahlkampf 2019 wahr oder falsch?“ – So steht es auf der Internetseite des WDR. Ihr Faktencheck „Wahlwatch“ ist perfekt zugeschnitten auf die junge, onlineaffine Wählerschaft. Die unterschiedlichsten Aussagen aus dem Europawahlkampf werden in einem für Social Media entwickelten Kurz-Format auf den Prüfstand gebracht. Dabei werden die Parteien fokussiert, die derzeit im deutschen Bundestag vertreten sind. Es handelt sich jeweils um Tatsachenbehauptungen, die öffentlich getätigt wurden, also nicht um Meinungsäußerungen oder Werturteile. 

Videos nicht länger als 1,5 Minuten, faktenkomprimiert, sorgfältig und belegend recherchiert und anschaulich mit Zahlen und Statistiken gefüttert – genau passend für die jungen Wähler. Sie geben den Zuschauern weitere Einblicke in die Parteien und ihre Politiker. Ihre Meinung können sie sich dann ganz frei selbst bilden. Ebenso ein Anreiz, sich besser auf die bevorstehende Wahl und die einzelnen Themen vorzubereiten und knackig und trotzdem gründlich recherchiert informiert zu werden – Als erste Anlaufstelle eine bequeme und gewissenhafte Informationsbeschaffung. Wer kann da schon was gegen haben?

#Politik einfach einfach machen
Von Luisa Gehnen

EUROPA. Kaum einer hat heutzutage noch Zeit – geschweige denn Lust – sich mit Wahlprogrammen von Parteien zu beschäftigen. Zum Glück gibt es dafür aber den Wahl-O-Mat! Hier zählen einfach nur Meinungen, Meinungen und Meinungen. Kontext? – Zweitranging! Hauptsache die Deutschen verlieren nicht völlig das Interesse an der Politik und machen bei der Europawahl brav ihr Kreuzchen. Ein Kommentar.

Landespolitik und Europapolitik sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Das zeigt sich auch in den Parteiprogrammen und der Wahlwerbung deutscher Parteien. Um da nicht den Überblick zu verlieren, hat die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) den Wahl-O-Mat zur Europawahl entwickelt. Anhand von 38 augenscheinlich „einfachen“ Fragen, können Nutzer ihre politische Einstellung mit den Positionen von 41 Parteien vergleichen. 

Eine ganz ähnlich pfiffige Idee hatte der WDR mit seinem #wahlwatch, dem Faktencheck zur Europawahl. Aussagen von Politikern werden zwischen wahr und falsch eingeordnet. Das ist er, der kritische, investigative Journalismus – so die Meinung vieler. Nicht bedacht wird dabei allerdings, dass Politiker (ja auch Politiker!) nur Menschen sind und Fehler machen. Nur, weil eine Statistik geschönt, eine Studie frisiert, oder eine Zahl verharmlost wird, ist der Kern der Aussage ja nicht falsch! Das wird hier aber unterschwellig suggeriert und die ganzen korrekten Aussagen der Politiker bleiben einfach unerwähnt. So sind sie, die Deutschen: kleinkariert, detailversessen und zwanghaft. Ob #wahlwatch also wirklich so einen großen Mehrwert bietet und Wählern in ihrer Entscheidung zur Europawahl hilft – fraglich. 

 „Der Wahl-O-Mat ist keine Wahlempfehlung, sondern eine Informationsangebot über Wahlen und Politik“ 

Das klingt erstmal super, ist es aber nicht. Denn ehrlich gesagt: Wer wirklich einen Plan hat oder politisch interessiert ist, der braucht die App nicht. Wer allerdings keine Ahnung von Politik hat, der braucht zwar die App, sie hilft ihm jedoch wenig.Die Fragen und Aussagen, die meistens nicht mal einen Satz umfassen, geben keinerlei Kontext.„Soll der Anbau von genetisch veränderten Pflanzen in der EU erlaubt werden?“ – ich weiß es ehrlich nicht! Was bedeutet denn überhaupt „Anbau“? Für Tierfutter, für Menschenfutter oder für Zierpflanzen?

Als App-Nutzer hat man bei jeder Frage bzw. Aussage die Chance „stimme zu“, „stimme nicht zu“ oder „neutral“ anzugeben. Wie schön es doch sein könnte, wenn Politik so einfach wäre.! Aber Obacht! Genmanipulierte Pflanzen sind leider nicht einfach nur da oder nicht da. Sie ziehen eine lange Reihe von Konsequenzen, Einschränkungen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen mit sich. Um die zu erläutern – falls das überhaupt möglich ist – reicht ein durchschnittlicher 6 Zoll Handybildschirm aber nicht. 

Der Wahl-O-Mat spuckt seine Ergebnisse danach gehend aus, in wie weit die Antworten der App-Nutzer und die der Parteien übereinstimmen. Der fehlende Kontext, der, moderat ausgedrückt, „effizienten“ Fragen, birgt jedoch eine Tücke in sich: Auch wenn die Parteien und App-Nutzer die gleiche Haltung haben, heißt das noch lange nicht, dass sie auch die Frage oder Aussage gleich verstehen. 

Das ist alles zu viel schwarz und weiß!

Ob bei #wahlwatch oder beim Wahl-O-Mat, immer geht es um richtig oder falsch. Deutschland ist schließlich ein starkes Land, mit starken Meinungen! Hier wird HALTUNG noch großgeschrieben und am besten immer bezogen. Sich kurz vor den Wahlen einmal schnell durch den Wahl-O-Mat zu klicken oder ein paar #wahlwatch-Videos zu schauen, ersetzt nicht das Lesen von Wahlprogrammen. Wählen ist in der EU ein Grundrecht und das sollte jeder nach bestem Wissen und Gewissen wahrnehmen – auch wenn das Zeit kostet.

Veröffentlicht am 17.05.2019