Türkei-Referendum

Eine Zerreißprobe für alle (Deutsch-) Türken

Der türkische Präsident Erdogan will mit einer Verfassungsänderung seine Macht ausbauen. Foto: Pixabay

Recep Tayyip Erdoğan plant eine Verfassungsreform, die ihm deutlich mehr Macht zusprechen soll. Bis zum 9. April durften auch die 1,4 Millionen wahlberechtigten Türken in Deutschland abstimmen. Dabei zeichnet sich seit Wochen eine Zerreißprobe ab.

Das türkische Parlament segnete die Verfassungsänderung im Januar zwar ab, allerdings stimmten zwei Oppositionsparteien dagegen, weshalb jetzt das Volk entscheiden soll. Es geht um den Wunsch Erdogans, unterstützt von der konservativ-islamischen Regierungspartei AKP und der nationalistischen MHP, seine Macht immens auszubauen. Wie „Cumhuriyet"-Chefredakteur Can Dündar gegenüber dem Spiegel befürchtet, steuere Erdogan die Türkei damit auf eine Diktatur zu. Der Vorstoß des türkischen Präsidenten beinhaltet zum Beispiel, dass Erdogan neben dem Amt des Staatschefs nun auch jenes des Regierungschefs innehaben soll. Ein Ministerpräsident wäre somit überflüssig. Auch dürfte Erdogan einer Partei angehören, das Parlament auflösen und Gesetzesentwürfe mit seinem Veto blockieren. Dies sind nur einige Punkte der erweiterten und neuen Rechte für Erdogan, die die Reform mit sich bringe und das Land wohl einen Schritt weiter in Richtung autoritäre Politik treiben würde. 

Im Staatssender TRT bezeichnet Halil Berktay, Historiker an der Sabanci Universität in Istanbul, die Verfassungsänderung als harmlos, wie der Spiegel ebenfalls berichtet: „Ich weiß nicht, warum die Leute sich so davor fürchten. Es ist ein angemessenes Präsidialsystem. Da ist nichts außergewöhnlich Schreckliches dabei," sagte er und vergleicht das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem mit jenem in der USA. Hier gibt es jedoch eine Gewaltenteilung.

Referendum als Mutprobe für Wähler — und Journalisten

Unsere Redaktion hätten gerne vor Ort in Dortmund recherchiert und sich die Meinungen der hier lebenden Türken beim Wahlgang angehört — die Anspannung ist jedoch auf allen Seiten so groß, dass wir um unsere eigene Sicherheit fürchten müssten. Es liegen Berichte von Reportern vor, die bedrängt und bedroht wurden. Offen über das Referendum reden, wollte sowieso niemand. Es wird deutlich, wie gespalten die (Deutsch-) Türken sind: Wer „evet” (dt.: „ja”) sagt, hat ebenso mit Repressionen zu rechnen, wie Wähler, die „hayır” (dt.: „nein”) sagen und sich damit Erdogans Machterweiterung in den Weg stellen. Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (F.A.S.) vorliegenden Zahlen zeigen zumindest eine ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung auf: 455.000 von 1,4 Millionen wahlberechtigten Türken haben in Deutschland bis Mittwoch abgestimmt. Diese Information habe die F.A.S. von der obersten Türkischen Wahlbehörde. Bei vorherigen Wahlen war die Beteiligung hierzulande niedriger, wie die Zeitung weiter berichtet.

Seit dem Putschversuch im vergangenen Jahr befindet sich die Türkei immer noch im offiziellen Ausnahmezustand. Erdogan betitelt die Verfassungsänderung diesbezüglich als „stabilisierende Maßnahme”. Fragt sich, ob ein Schritt Richtung autoritärem Regime oder gar Diktatur das Volk beschwichtigen wird oder nicht doch das Gegenteil passiert. Mit einem Ergebnis kann ab 16. April gerechnet werden.

Von Manuel Montefalcone
Veröffentlicht am 09.04.2017

Manuel Montefalcone

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