Querdenken 511 Demo

Zwischen Leugnern, Nazis und Humanität

Demonstrantin auf der Querdenken 511 Demo in Hannover. Foto: Tamara Berg

HANNOVER. Ich sitze auf dem Beifahrersitz. Michelle, meine Kommilitonin, fährt meinen kleinen weißen Toyota Yaris geschickt durch die zahlreichen Straßensperren am Trammplatz. Ziel ist die Querdenken Demo 511 in Hannover, über die wir einen TV Beitrag drehen möchten. Doch was ist eigentlich diese Bewegung? Die Querdenker fühlen sich durch die Anti-Corona Maßnahmen der Regierung in ihren Grundrechten eingeschränkt und protestieren deshalb für die Wiedergewinnung.

Die Menschen tummeln sich. Wir parken in der Cluemannstraße, direkt am Maschteich – die Floskel „die Ruhe vor dem Sturm“ kommt mir ins Gedächtnis. Ein kurzer Regenschauer zieht über uns hinweg, während ich das Kabel meines kleinen Ansteckmirkofons unter meiner Jacke hervorziehe und an meiner Hose befestige. Immer mehr Autos parken neben uns ­– es ist unschwer zu erkennen, dass die Leute auf die Querdenken Demo 511 möchten. Es werden Witze gerissen, sich gegenseitig über Politik ausgetauscht und die Plakate und T-Shirts des Anderen begutachtet. Je mehr Leute sich auf dem Parkplatz einfinden, desto lauter wird es. Polizisten reiten auf ihren Pferden an uns vorbei.

Die Stimmung wirkt leicht angespannt ­– es scheint als würden die Demonstranten sich durch die vorbeifahrenden Polizeiwagen beunruhigt fühlen. Doch die Anspannung wechselt schlagartig als Stimmen über Megafone vom Trammplatz ertönten. Die Menge setzt sich in Bewegung. Wir begleiten sie ­– zwischen Regenbogenflaggen und bekritzelten Plakaten tauchen Deutschlandflaggen auf. Die Polizei trifft letzte Vorkehrungen, um die Sicherheit aller Anwesenden zu gewährleisten. Seitlich an einer Treppe stehen bereits ein paar Demonstranten die ruhig aber bestimmend mit einem Dutzend Polizisten diskutieren. Immer mehr Leute versammeln sich in den drei Sektionen, die mit Flatterband und Absperrungen den Platz unterteilen. Die Platzeinteilung dient zur Abstandsregelung. Dies stößt bei den Ersten auf Unverständnis.

„Heb mal da die Hand"

Ich stelle das dreibeinige Stativ, auf dem die Kamera befestigt wird, an die Straßenseite und drehe die Schrauben fest, während Michelle die Kamera aus der Tasche holt. Plötzlich heizt sich die Stimmung an. Gegröle und spöttische Rufe sind zu hören. Ungeduldig versammeln sich Demonstranten der Querdenker hinter uns und fangen ebenfalls an zu schreien. Die Polizei stellt sich in einer Reihe in der Mitte auf – den Blick auf uns und die Menschenmenge hinter uns gerichtet. Bierflaschen klirren und weitere Leute kommen auf den Bürgersteig geeilt. Eine Gegendemonstration läuft auf der anderen Straße vorbei. Alle brüllen und geben ihr bestes, um die eigene Meinung der anderen Seite so laut wie möglich deutlich zu machen. Es ist ein eigenartiges und doch faszinierendes Gefühl in der Mitte der tobenden Menschenmasse zu stehen. So schnell wie die impulsive Stimmung entstanden ist, erlischt sie auch wieder.

Wir mischen uns unter die Menschenmenge – vorbei an Lachenden und diskutierenden Querdenkern. Ich gehe voraus und Michelle folgt mir. Immer mehr Blicke fallen auf uns je weiter wir in die Mitte gehen. „Da kommt ja die Presse“, wird uns spöttisch zugerufen. Ganz klar – wir sind nicht die beliebtesten Gesichter auf der Veranstaltung. Wir stellen uns seitlich des Platzes. Ein „alter Hippie“, wie er sich selbst nennt, zündet sich neben mir eine Zigarette an und begutachtet unser Kameraequipment. Auf seiner beigen Jacke stehen in schwarzer Schrift Sprüche, die gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunken schießen. „ZDF, ARD, alle gleich! Alle sind gleichgeschaltet. ALLE! Heb mal da die Hand, dann sind auf einmal alle 6000 Demonstranten Nazis.“, spricht er aufgewühlt in unsere Kamera.

Die Polizisten beobachten uns – Leute kommen auf uns zu. Wir haben ihr Interesse geweckt. Sie fotografieren und filmen mich, während ich den „alten Hippie“ interviewe. Die Demonstranten hindern uns nicht an der Arbeit. Sie sind einfach neugierig. Wir scheinen anders als die großen Rundfunkanstalten auf die Querdenker zu wirken – vielleicht aus ihren Augen neutraler, da wir von keiner großen Rundfunkanstalt kommen. Die Demonstranten suchen das Gespräch mit uns – Es wundert mich. Ich bin 20 Jahre alt und habe die Hälfte meines Journalismus Studiums geschafft. Ich kann also behaupten, dass ich noch weniger erfahren bin als die „großen Fische“ im meinem zukünftigen Berufsfeld – aber vielleicht auch gerade deshalb, weil auf meinem Mikrofon nicht das Logo des ZDF oder ARD steht, scheint es, als ob sich die Demonstranten näher an uns herantrauen. 

„Ihr wird das glücklich sein verboten"

Dass in Krisensituationen häufig ein Schuldiger gesucht wird, liegt gewissermaßen in der Natur des Menschen. Gerade diese Wahrnehmung hatte ich, während ich die Interviews führte. Es fiel überwiegend der Name unserer noch Kanzlerin Angela Merkel. Doch anders als vermutet wurde nicht ihre angehörige Partei die CDU beschuldigt, sondern Bündnis 90 die Grünen. Merkel und Grüne seien dafür verantwortlich, dass nächtliche Ausgangsperren gelten und die Maske selbst draußen auf freien Flächen im Gesicht „kleben" müsse. Diese Aussagen stimmen natürlich nicht ganz. Jedoch war jeder meiner Interviewpartner dieser Ansicht. Einer von ihnen war vor kurzem an dem Virus erkrankt, meinte aber, dass seine Symptome nicht harmloser als bei einer Grippe gewesen seien. Und deshalb aus seiner Sicht, die Anti-Corona-Maßnahmen der Regierung absichtlich eine Freiheitsberaubung unabhängig von dem Virus wären.

"Die Mund-Nasen Bedeckung schränkt unsere Kinder ein. Sie beeinflusst sie – ich als Mutter, kann das Lächeln meiner Tochter nicht mehr sehen. Ihr wird das glücklich sein verboten." Sie trägt eine durchgestrichene Maske und ein Plakat, das ihren Unmut seitens der Kanzlerin zeigt. Es ist für mich nicht fremd, dass viele Kinder nur ungern die Maske tragen und damit weniger umgehen können, als ein Erwachsener. Ich verstehe die aufgewühlten Eltern. Es wurde Mehrfach der Vergleich zwischen der Maske und Verschleierung gezogen. Solche Aussagen sind beunruhigend und schockierend. Im gleichen Moment ertönt über ein Megafon die Frage aller Fragen, die wohl die meisten mit den Querdenkern verbindet. „Wer von euch ist alles Rechts?" – Ein paar Arme werden provokant in die Höhe gehoben. „Gut danke für eure Ehrlichkeit. Und wer von euch ist Links? Wer von euch ist in der Mitte?“

Die meisten Hände erheben sich auf die Frage der Mitte. Ich schaue mich um, und sehe, dass wenige immer noch den Arm in die Höhe halten, jedoch nicht als Meldung, sondern als Hitler Gruß. Umherstehende Menschen schütteln bei dem Anblick den Kopf, bis alle Arme wieder gesenkt wurden. Für mich ist klar: ­es gibt die Rechtsradikalen auf der Querdenken Demo. Aber genauso auch Linksorientierte und Menschen, die sich auf keine der Seiten stellen möchten und das ist an diesem Tag die Mehrheit. Michelle und ich packen unser Kameraequipment ein und verlassen gemeinsam mit anderen Demonstranten den Trammplatz. Ja, es gab unpassende Äußerungen – aber über den gesamten Nachmittag ist die Querdenken 511 Demo ruhig und ohne schwere gewalttätige Auseinandersetzungen abgelaufen. Die Veranstaltung und der Umgang mit den Demonstranten seitens Michelle und mir ist humaner und neutraler verlaufen, als ich anfänglich gedacht habe. Ich hatte mit mehr Unruhen und Auseinandersetzungen gerechnet. 

Von Tamara Berg
Veröffentlicht am 05.06.2021