„Sprache ist das A&O erfolgreicher Integration“

Orhan Piri fürchtet, dass Thilo Sarrazin mit seinem Buch eine neue Bewegung des Rechtsradikalismus losgetreten hat. Foto: Verena Holzgreve

Mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ sorgt Thilo Sarrazin derzeit für Gesprächsstoff. BiTSnews wollte wissen, wie Sarrazins Thesen von ausländischen Mitbürgern wahrgenommen werden und traf sich mit dem türkischstämmigen Lokalpolitiker Orhan Piri zum Interview in Gelsenkirchen.

Im Alter von sechs Monaten ist Orhan Piri gemeinsam mit seinen Eltern von der Türkei nach Gelsenkirchen immigriert. Nach dem Abitur auf einem Gelsenkirchener Gymnasium arbeitet er seit vielen Jahren als erfolgreicher Kleinunternehmer. Anfang des Jahres gründete der 44-Jährige sogar eine eigene Partei – auf der Agenda der BLU (Bürgernahen Liberalen Union) ist auch Integration ein großes Thema.

 

BiTSnews: Mit Ihrem Lebenslauf würde Sie Thilo Sarrazin in seinem Buch garantiert als Musterbeispiel für gute Integration hervorheben. Was genau macht für Sie gelungene Integration aus? Haben nur Migranten eine Bringschuld, ist nicht auch der Staat verantwortlich?

Orhan Piri: Natürlich ist zunächst Sprache das A&O erfolgreicher Integration. Wenn ich etwas erreichen will, muss ich auch die Landessprache lernen. Allerdings sollte auch der Staat Verantwortung übernehmen. Allerdings<s> </s>nicht in der Form, Regeln zur Integration aufzustellen. Verantwortung heißt ausländischen Mitbürgern beispielsweise verstärkt die Chance zu bieten, Ämter im öffentlichen Dienst zu bekleiden. Das würde gegenseitigen Respekt schaffen und auch einen Anreiz, sich als Ausländer besser zu integrieren.

 

BiTSnews: Im Punkto Sprachkenntnisse als Garant für erfolgreiche Integration stimmen Sie also mit Thilo Sarrazin überein. Warum aber sind die Sprachbarrieren tatsächlich so hoch?

Orhan Piri: Sprachförderung, also Sprachkurse gibt es schon sehr lange als Auflage im Ausländergesetz . Leider werden türkische Migranten anders gefördert als Migranten aus den Östlichen Ländern, daher kommt es zu der Sprachbarriere. 

 

 

BiTSnews: Eine von Sarrazins Thesen lautet: Migranten mit muslimischen Hintergrund würden sich generell schlechter integrieren als andere. Was halten Sie davon?

Orhan Piri: Es gibt keinen Unterschied in der Integration der unterschiedlichen Völkergruppen. Der einzige Unterschied liegt im Glauben und daran, dass sie nach ihrem Glauben leben.

 

BiTSnews: Sarrazin unterstellt Türken, sie wollten dauerhaft eine eigenständige Minderheit in Deutschland bilden. Wie sehen Sie das? Was ist die Motivation für manche, sich mehr zu integrieren und für manche, das nicht zu tun?

Orhan Piri: Vielleicht liegt es einfach daran, dass viele Türken andauernd auf Ablehnung und Fremdenfeindlichkeit stoßen. Da ist es logisch, dass man lieber unter sich bleibt uns sich auch nicht integriert.

 

BiTSnews: Was läuft denn bei der Integration falsch?

Orhan Piri: In der Gesellschaft entsteht durch die Medien immer wieder ein verzerrtes Bild von Migranten. Nehmen wir beispielsweise einen 20-Jährigen türkischer Abstammung, der <s>aber</s> in Deutschland geboren wurde und Deutsch spricht. Wird dieser junge Mann kriminell auffällig, wird man in den Medien immer wieder hören, dass er türkischer Abstammung ist. Wenn er aber große sportliche Erfolge erzielt heißt es, er sei Deutscher. Da besteht ein Ungleichgewicht, das niemals zur besseren Integration von Ausländern beitragen wird.

 

BiTSnews: Was schockiert Sie an Sarrazins Buch?

Orhan Piri: Sarrazins Thesen entsprechen einfach nicht der Realität, beinhalten Hass und schüren Hass. Genau das macht mir Sorgen. Ich habe Angst, dass in Deutschland eine neue Form des Rechtsradikalismus existiert. Denn wären diese Äußerungen von einem rechten Politiker gekommen, hätte es niemals so eine Aufruhr gegeben. Aber spricht ein Sozialdemokrat, noch dazu in einem hohen öffentlichem Amt, so etwas aus, dann muss man ihm Gehör schenken. Und dass das viele tun,  zeigt ja schon der Erfolg seines Buches. Er hat also viele Menschen dazu gebracht, sich seinen Thesen anzunehmen und somit eventuell ihren Hass zu aktivieren.

 

von Verena Holzgreve

Veröffentlicht am 06.09.2010