BOCHUM. „Dies ist ein toller Ort für angehende Schauspieler und Interessierte“ – so beschreiben die zahlreichen Besucher das Theater auf der Rottstraße 5 in Bochum. Zehn erfolgreiche Jahre und die beste Off-Bühnen in der ganzen Ruhr-Metropolie – das ist das Theater unter Brückenbogen.

Auf den ersten Blick wird nicht jeder verstehen, dass sich ein Theater vor ihm befindet. Die Brücke, auf der die Züge von oben fahren, eine etwas laute Straße in der Nähe. Auf dem Glas ist in einer anderen Farbe das große Wort „THEATER“ angebracht. Hier draußen stehen rote Stühle, die man oft in einem Filmtheater sieht. Beim Betreten merkt man sofort, wie klein das Theater ist. Es gibt keine hohen Decken und riesige Kronleuchter mit den teuren Edelsteinen. Das halbkreisförmige Gewölbe wird von mehrfarbigen Lampen sanft beleuchtet. Rechts und links sind die gewöhnlichsten Stühle zu sehen, die auf dem Parkett stehen. Dieses Theater ist einzigartig in Deutschland und vielleicht auf der ganzen Welt, in das man sich von dem ersten Theaterstück verliebt.

Im Jahre 2009 wurde „ROTTSTR5 Theater!” von ehemaligen Mitgliedern des Schauspielhauses Bochum als Gegengewicht zum etablierten Stadttheater gegründet. Als Initialzündung für die Eröffnung des Rottstr5Theater gilt eine Inszenierung von Tschechows „Drei Schwestern“ in den Räumlichkeiten. Seitdem ist das Theater ein fester Bestandteil der freien Szene Bochums und hat sich in den Jahren einen Ruf als eine der kreativsten und ambitioniertesten Off-Bühnen im Ruhrgebiet und darüber hinaus erspielt. Es ist fast unglaublich, aber jetzt sind nur sechs Leute in dem Theaterteam: Die Theaterleitung machen Oliver Paolo Thomas & Alexander Ritter, Leitung Young'n'Rotten (oder junges Ensemble) - Matthias Hecht, Technik & Produktionsleitung - Simon Krämer, Mitarbeit Kommunikation, Regieassistenz, Abendspielleitung - Jasmina Dittrich, sowie als Leitung des Kinderensembles „Die Truffaldinos“ - Tanja Grix. Darüber hinaus gibt es eine Crew von circa acht bis zehn Mitarbeitern, die sich um den Auf- und Abbau und die technische Abwicklung bei Vorstellungen kümmern, sowie etwa 15-20 Schauspieler/-innen, die regelmäßig auf der Bühne stehen. Dank all dieser Menschen bewegt sich das Theater zuversichtlich in Richtung neuer Erfolge. Aber das Theater ist kein Büro, in dem man den ganzen Tag am Computer arbeitet. Dies ist ein viel komplexerer "Organismus" - mit seinen eigenen Regeln und Vorschriften. An einem regulären Tag wird vormittags im Theater die aktuell anstehende Produktion geprobt. Danach am Nachmittag wird die Bühne umgebaut und die Vorstellung vom Abend eingerichtet. Ab 19 Uhr beginnt der Einlass des Zuschauers und 30 Minuten später beginnt dann die Vorstellung. Und falls der Tag ganz vorstellungsfrei ist, wird auf jeden Fall am Abend alle Vorstellungen geprobt.

Nicht als andere

Alle Mitarbeiter gestalten ein lebendiges und sinnlich-erlebbares Theater. Dabei setzen sie auf die elementarste Kraft des Theaters – das Live-Erlebnis. Sie machen Theater mit starken Menschen, starken Geschichten und starken Bildern – das ist ihr Motto. Die erzählerische Kraft der Geschichte und die schonungslose Darbietung der Schauspieler/-innen stehen im Zentrum der Ästhetik des Theaters. Beim Rottstr5Theater sind die Schauspieler und die Inszenierung extrem nah am Publikum. All das macht direktes, existenzielles Theater, bei dem das Publikum mittendrin ist, quasi den Schweiß riechen kann. Der einzigartige Theaterraum (ein Gewölbe unter Bahngleisen), die Ablehnung von Regieeitelkeiten und die unverkopfte Art und Weise, Geschichten zu erzählen, sind die Markenzeichen von dem Theater. Kein Moral- oder Kopftheater, sondern Konfrontation und Direktheit, großen Mut und große Bilder.

Rottstr5Theater hat sich von Beginn an komplexen Themenfeldern gewidmet und dabei eine große Vielfalt an literarischen Werken auf die Bühne gebracht, – von der antiken Tragödie über das klassische und zeitgenössische Drama bis hin zu modernen Roman-Adaptionen und deren Uraufführung – stets unter dem Motto: Große Stoffe auf kleiner Bühne. Die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen ist das Markenzeichen des Theaters geworden. Hierbei setzt an auf eine unorthodoxe Zusammenstellung von Stoffen, die einen unmittelbaren Bezug zur gesellschaftlichen Realität aufweisen und alle Zuschauer durch ihre wirkungsästhetische Direktheit überzeugen. Viele Stücke im Theater laufen über einen extrem langen Zeitraum, aber wenn man „das Erfolgreichste“ nennen will, ist es sicher „Fight Club“, dass seit zehn Jahren in dem Spielplan ist und noch immer vor vollem Haus läuft.

Das Theater arbeitet mit keinem theatralischen „System“. Jeder Regisseur oder Regisseurin entscheidet selbst über seine Arbeitsweise. Auch arbeitet Rottstr5Theater mit ganz unterschiedlichen Regisseur/-innen zusammen, auch mit Regiestudenten der Folkwang Universität der Künste oder bereits erfahrenen Schauspielern, die sich im Bereich Regie versuchen wollen und in dem Theater ihre ersten Inszenierungen auf die Bühne bringen. Neben den Regiearbeiten der künstlerischen Leiter hat sich mit einigen Regisseur/-innen eine langjährige Arbeitsfreundschaft entwickelt, die schon seit vielen Jahren regelmäßig hier in Bochum inszenieren. Außerdem hat das Theater immer wieder Gastspiele in anderen Städten und an anderen Häusern. In diesem Jahr wurde der mit „1984“ erneut zum NRW Theatertreffen im Theater Münster eingeladen, was für ein freies Theater wie Rottstr5Theater es ist, eine besondere Auszeichnung ist. Aber auch darüber hinaus führt man Gastspiele quer durch Deutschland auf, von Hamburg über Jena bis nach Freiburg. Eigentlich hat das Theater in fast jeder Stadt gespielt. Momentan befindet der sich in der Planung für Gastspiele in Köln und Berlin anfang des nächsten Jahres.

Das Theater hat ein extrem durchmischtes Publikum. Natürlich spricht es mit dem Spielplan vermehrt junge Menschen, Schüler/-innen und Student/-innen an, aber viele Stammgäste des Theaters sind auch langjährige Theatergänger, die sich über den unkonventionellen Blick auf Theaterstoffe freuen. Dieses Theater ist Einstiegsdroge: Es ist bis jetzt gut gelungen, ein (immer noch wachsendes) Publikum aller Altersklassen zu erreichen und gleichzeitig neue Zielgruppen zu erschließen, die dem Theater sonst fernblieben.

Was wird als nächstes passieren?

Für die nächsten fünf Jahren hat das Theater grandiose Pläne. Jenseits einer Vielzahl von künstlerischen Projekten, die die Theatermannschaft in der Zukunft verwirklichen will. Das Hauptziel ist, nach nun mehr zehn Jahren des Theaterbestehens, eine feste Förderung von Kommune und Land in ausreichender Höhe zu erhalten. Im Gegensatz zu den meisten anderen freien Theatern in Nord-Rhein Westfalen, erhielt der Theater nahezu ausschließlich kleinere Projektförderungen. Damit kann man allerdings weder vernünftig planen noch die beteiligten Personen auch nur annährend seriös bezahlen. Wenn sich an dieser Gemengelage nichts ändert, wird die große Frage für die nächsten fünf Jahre sein, wie lange der Rottstr5Theater noch unter diesen Bedingungen weiter Theater machen kann.