Kriminalität im Supermarkt

Kurz vor Ladenschluss

In Supermärkten häufen sich die Überfälle. Foto: Luisa Rubarth

ISERLOHN. Der Einzelhandel zählt in Deutschland zu der Branche mit den meisten Beschäftigten. Verkäufer und Verkäuferinnen sind auf sich allein gestellt. Laut der Berufsgenossenschaft Handel & Warendistribution (BGHW) in Mannheim finden drei von vier Übergriffen im Lebensmitteleinzelhandel in den beiden Stunden vor und nach dem Ladenschluss statt. Maerkzettel hat einen Supermarkt in den Abendstunden besucht.

Es ist 21:30 Uhr. Noch 30 Minuten, dann wird der Discounter geschlossen. Frau M. hat heute die letzte Schicht in dem Laden einer großen Supermarktkette in Iserlohn. Es muss an Personalkosten gespart werden. „Ich habe da schon immer ein komisches Gefühl, wenn ich als einzige die letzte Schicht im Laden übernehme. Hier laufen ja wirklich allerlei Gestalten herum.“

2012 verzeichnete das Bundeskriminalamt allein in Deutschland 4.748 Raubüberfälle auf Geschäfte. Weniger als die Hälfte werden derzeit aufgeklärt, besagt die letzte Studie aus dem Jahr 2013.

Drei Kunden schlendern noch durch die Regale, irgendwann haben aber alle gezahlt. Außer Frau M. und mir ist der Laden leer.  Aus den Lautsprechern im Discounter klingt „Because of you“ von Kelly Clarkson. Die Schiebetür geht auf. Ein Mann mit Kapuze betritt den Laden. Ein seltsames Gefühl, vor allem, wenn man ganz alleine ist – sind wir heute ja zum Glück nicht.

Der Kunde ist offensichtlich stark alkoholisiert, er grölt durch den Laden, kommt wohl gerade von einem Fußballspiel. Während er zwischen den Regalen her taumelt, schaut er uns mit durchdringendem Blick an. Obwohl wir zu zweit sind, fühle ich mich unwohl und unsicher. Frau M. bestätigt dieses Gefühl und berichtet mir weiter, dass es ihr so bei fast jeder Spätschicht gehe. „Irgendwelche komischen Situationen hat man immer. Man hat da ja auch immer so ein Bauchgefühl, das einem sagt: Pass auf, hier ist was komisch.“

Aber was ist, wenn jetzt wirklich etwas passiert? Ein Raub oder ein bewaffneter Überfall? So etwas kann doch immer passieren. Wer würde eingreifen und helfen? Oder eher, würde überhaupt jemand etwas davon mitbekommen, wenn nicht zufällig ein weiterer Kunde den Laden betritt? „Für den äußersten Notfall haben wir diesen roten Knopf unter der Kasse, den Notfallknopf. Wenn wir den drücken, wird ein Signal an die örtliche Polizeistelle weitergeleitet, die dann sofort ausrückt.“

Viele Angestellte beenden ihre Karriere im Einzelhandel nach einem Überfall. Hier fühlen sich die Angestellten in ihren Sorgen vom Unternehmen nicht Ernst genommen. 

„Die Aufgabe der Gefährdungsbewertung ist es, mit einer gewissen Systematik die Gefährdungen im Betrieb zu erkennen , entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, deren Wirksamkeit zu überprüfen und zu dokumentieren“, sagt Siegrid Becker, Referentin bei der BGHW. Dies gelte auch für den Umgang mit Geld an der Kasse oder im Tresorraum.

Der stark alkoholisierte Kunde ist wahrscheinlich der letzte Kunde an diesem Abend, denn es ist bereits 21:56 Uhr. Sechs Dosenbier und eine Packung „Feine Tröpfchen in Nuss“. Frau M. kassiert ab. Außer, dass er uns weiter mit verstörendem Blick anstarrt, passiert an diesem Abend nichts. Vielleicht, weil wir zu zweit waren. Vielleicht wäre sowieso nichts passiert. Vielleicht. 

Von Luisa Rubarth
Veröffentlicht am 20.11.2016