Holger Erb

„Verhütungsmissgeschicke sind menschlich“

Berater Holger Erb erzählt im Interview, was Schwangerschaftskonfliktberatung ausmacht. Foto: Melina Seiler
Holger Erb im Gespräch mit Maerkzettel-Redakteurin Melina Seiler. Foto: privat

ISERLOHN. Maerkzettel sprach mit Holger Erb, dem Leiter der „pro famila“-Beratungsstelle in Iserlohn, über Schwangerschaftskonfliktberatung. Im Interview erklärt er, wie diese abläuft, welche Sorgen die Frauen haben und wie die Beratung helfen kann.

Maerkzettel: Was ist die Schwangerschaftskonfliktberatung?

Holger Erb: Es ist die gesetzlich vorgeschriebene Beratung für einen Schwangerschaftsabbruch. Wenn die Frau nach der Beratung abtreiben möchte, stellen wir die notwendige Bescheinigung aus. Nur damit darf der Eingriff von einem Arzt durchgeführt werden. Das ist innerhalb der ersten 12 Schwangerschaftswochen möglich. Zwischen Beratung und Abtreibung müssen wenigstens drei Tage Bedenkzeit liegen.

Was genau beinhaltet sie?

Grundsätzlich wird die Beratung „ergebnisoffen“ geführt. Zum Inhalt gehören, sofern die Frau das wünscht, alle Informationen zu den gesetzlichen Regelungen während der Schwangerschaft und rund um die Geburt, wie beispielsweise die Regelungen zum Mutterschutz. Aber auch zu Elterngeld und Elternzeit und den sozialen und finanziellen Angeboten vor Ort. Bei einer Sitzung von 30 bis 60 Minuten informieren wir die Frauen, die zu uns kommen, über die Form des Eingriffes. Wir erklären, welche Ärzte das machen und welche Folgen möglich sind. Wir leisten aber auch Entscheidungshilfe bei Unsicherheiten. Dann sprechen wir darüber, wie die Perspektive der Frau mit oder ohne Kind ist. Das ist abhängig von ihren Zukunftsvorstellungen oder ihrem Umfeld. Die eigentliche Entscheidung trifft aber immer die Frau, weil diese sie ein Leben lang begleiten wird.

Was für Frauen kommen zu Ihnen?

Die Meisten sind Anfang zwanzig bis Mitte dreißig. Es kommen natürlich auch Jüngere oder Ältere, aber das ist seltener. Manchmal haben wir Frauen mit abgeschlossener Familienplanung. Die haben nicht mehr damit gerechnet, schwanger zu werden. Aber durch Verhütungsmissgeschicke passiert manchmal das, was man sich nie vorstellen konnte. Entgegen der medialen Verbreitung kommen nur wenige Minderjährige. Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir eine geringe Anzahl an minderjährigen Schwangeren.

Wenn es zu einer ungewollten Schwangerschaft kommt, liegt es dann an mangelnder Aufklärung?

Das kann natürlich sein, ist aber eher selten. Meist ist es ein Verhütungsmissgeschick. Es wurde beispielsweise die Pille falsch eingenommen oder nicht beachtet, dass zusätzliche Medikamente die Wirkung verhindern. Ebenso wie Erbrechen oder Durchfall. Man könnte das jetzt natürlich auch unter mangelnde Aufklärung verbuchen, aber Pannen können passieren. Deshalb sind Verhütungsmissgeschicke menschlich.

Können auch Männer, Freunde und Familie mitkommen?

Ja, natürlich. Väter und auch Freundinnen. Weil es eine sehr intime Entscheidung ist, sollte ein Beratungsgespräch möglichst privat bleiben. Wir stehen unter Schweigepflicht. Trotzdem kommen viele Frauen gerne in Begleitung, weil Unsicherheit darüber herrscht, was hier passiert. Es ist letztendlich immer noch eine Zwangsberatung.

Wie läuft die Beratung ab, wenn die Frau schon sicher ist, dass sie abtreiben will?

Wenn die Frau sich zu den Beweggründen nicht äußern will, dann muss ich darüber aufklären, was beim Eingriff passiert und welche Folgen es gibt. Außerdem gehört dazu, wenn die Frau es möchte, ihr mitzuteilen welche Unterstützungsangebote es gibt. Es wäre zwar wünschenswert, wenn sie über ihre Beweggründe spricht, aber wir stellen die Bescheinigung aus, nachdem wir unserer Verpflichtung nachgegangen sind.

Welche Sorgen und Nöte haben die Frauen hauptsächlich?

Das sind immer sehr private Gründe. Es kann zum Beispiel sein, dass schon Kinder da sind und weitere zur Überforderung führen würden. Oder dass aufgrund einer beruflichen oder Ausbildungssituation ein Kind gerade nicht ins Leben passt. Oft haben die Frauen auch partnerschaftliche Probleme, zum Beispiel, wenn das Kind gar nicht aus einer Beziehung hervorgegangen ist.

Gibt es auch Frauen, die später die Abtreibung bereuen?

Ja. Im Nachgang gibt es dazu ebenfalls Beratungen. Allerdings kommt das sehr selten vor.

Gibt es Frauen, die zwar aufgrund ihrer Lebensumstände gerne abtreiben würden, aber moralisch-ethisch Konflikte haben?

Ja, das gibt es auch, aber überraschend selten. Selbst Frauen, die auf irgendeine Art sehr gläubig sind, treffen die Entscheidung vor dem Hintergrund ihrer Lebensrealität und nicht auf Glaubensbasis.

Ist die Beratung auch in einer anderen Sprache möglich?

Ja, wir ziehen dann Dolmetscher hinzu. Wir haben Kontakte, und die Kosten werden auch übernommen. Manche Kollegen sprechen auch Fremdsprachen.

 

 

Veröffentlicht am 07.11.2016