Interview mit einem Tatortreiniger

„Wenn wir es nicht machen, wer dann?“

Thomas Kundt in einem Schutzanzug. Foto: Thomas Kundt

Ein Todesfall ist für Angehörige meist ein Schock und nicht leicht zu verarbeiten. Aber wer putzt eigentlich, wenn sich jemand das Leben genommen hat? Wer räumt die Mietwohnung eines Messis aus? MAERKZETTEL hat mit einem Tatortreiniger gesprochen.

Thomas Kundt ist 41 Jahre alt und hat gemeinsam mit einem Freund das Unternehmen „Desinfekthoch3“ gegründet. Dieses befasst sich vor allem mit Desinfektion, aber auch mit Tatortreinigung und Wohnungsräumungen. Fotos von seinem Berufsalltag und den Tatorten teilt er fleißig auf seinem Instagram Account @einechtertatortreiniger.

Ein Desinfektor beschäftigt sich mit Gebäudereinigung und Desinfektion. Zum Beispiel in der Gastronomie, Krankenhäusern oder Kindergärten, aber auch an Tatorten. Für mehr Info schau einfach mal auf www.desinfekthoch3.com  vorbei.

MAERKZETTEL: Was hat dich dazu bewegt, Tatortreiniger zu werden?

Thomas Kundt: Ich sammle Antiquitäten und habe mit einem Freund immer mal wieder Haushaltsauflösungen gemacht, um eben an solche Sachen dran zu kommen. Bei einem Grillabend war ein Freund der Kriminalpolizei dabei und hat mir gesagt, ich solle doch Tatortreinigungen anbieten. Dann habe ich am nächsten Tag Visitenkarten gedruckt und mich selbst zum Tatortreiniger ernannt. Also habe ich ein Nebengewerbe angemeldet und wollte mal schauen, wie es ist. Danach kann jeder selbst entscheiden ob es professionell begonnen, oder eben sein gelassen wird. Ich habe mich für die professionelle Variante entschieden.

Gibt es eine Ausbildung, die man absolvieren muss?

Es gibt keine Ausbildung als Tatortreiniger. Ich finde, jeder Tatortreiniger muss mindestens staatlich geprüfter Desinfektor sein. Außerdem finde ich es wichtig, dass eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen wurde und eine gewisse soziale Kompetenz an den Tag gelegt wird. Also pietätsvoll mit den Leuten umgegangen wird. Das ist eine Grundvoraussetzung.

Was fasziniert dich am meisten an diesem Job?

Ich bin ein sehr kontaktfreudiger und lebensfroher Mensch. Man kommt durch diesen Job schnell mit vielen Leuten ins Gespräch. Es ist außerdem ein extrem abwechslungsreicher Beruf. Zwischen fünf und zehn Prozent der Fälle sind versuchter Mord. 10 bis 15 Prozent sind Selbsttötung. Dann gibt es noch Unfälle, die im Haushalt passieren. Alles andere sind Verstorbene dessen Tod nicht bemerkt wird, und einige Zeit in der Wohnung liegen. Das sind ungefähr 50 Prozent.

Bist du noch oft geschockt oder ist man mit der Zeit abgehärtet?

Geschockt würde ich nicht sage, ich bin eher betroffen in bestimmten Situationen. Ich würde nie behaupten, ich hätte schon alles gesehen. Denn sobald ich das sage kommt am nächsten Tag ein Fall rein, bei dem ich mir denke „Das gibt's doch gar nicht.“. Ich hatte einen Fall mit einem Transvestiten, wo keiner erwartete hatte, dass der Mann eigentlich so tickt und nachts als Frau unterwegs ist. Dann habe ich gedacht ich habe alles erlebt. Eine Woche später hatten wir eine Wohnung, in der wir einen Schrank öffneten, der von oben bis unten mit Einmachgläsern gefüllt war. In jedem Glas war ein kleines Häufchen Kot drinnen, mit einem Namen und einem Datum. Deswegen kann ich nie sagen ich hätte alles gesehen.

Brauchst du auch Abstand zu deinem Beruf?

Dieser Beruf ist Bestandteil meines Lebens und gehört zu mir. Ich mache den Job mit Leidenschaft, aber ich habe auch Feierabend. Dann schüttle ich das alles ab und denke ich auch nicht mehr daran oder darüber nach.

Gibt es eine Grenze für dich oder dein Unternehmen?

Wenn wir es nicht machen, wer macht es dann? Also das ist immer eine Preis-Frage. Bei bestimmten Sachen sage ich dann einfach, dass ein bestimmter Preis stehen muss. Dann können wir die Situation lösen. Es gab jetzt noch keinen Fall, bei dem wir gesagt haben „Das kriegen wir nicht hin.“.

Verändert dieser Beruf deine Sicht auf den Tod?

Die Sicht auf den Tod ändert er nicht, aber die Sicht auf das Leben hat sich für mich geändert. Ich glaube ich bin sowieso ein sehr sozialer und freundlicher Mensch gewesen, aber in meiner sozialen Kompetenz auch gewachsen. Ich kann mich auch mal in einen Messi hineinversetzen, und versuche die Situation aus seiner Sicht zu betrachten. Das mache ich dann auch im Freundes- oder Bekanntenkreis.

Wie bist du auf die Idee gekommen deinen Job auf Instagram zu teilen?

Eigentlich hat es damit angefangen: Ich war bei einer Buchvorstellung bei der Buchmesse in Leipzig, und habe gedacht ich müsste eigentlich mal über diesen Beruf erzählen. Also ein Tatortreiniger erzählt Storys. Und ich habe ja Storys zu erzählen. Mit einer sozialen Botschaft. Dann habe ich mit dem Inhaber des Kupfersaals gesprochen, der das Ganze auch für eine gute Idee hielt. Zu meinem ersten Vortrag sind dann schon knapp 300 Leute gekommen. Der zweite Termin war komplett ausverkauft. Nun haben wir eine Deutschlandweite Tour geplant die auf Grund der Corona-Krise verschoben werden musste.

Ist es erlaubt Fotos von Tatorten bei Instagram teilen?

Zum einen erlischt das Recht am eigenen Foto mit dem Tod. Und ich mache es ja anonym. Ich gucke ob es Hinterbliebene gibt. Es gibt viele Fälle, in denen ich es nicht zeige, weil ich den Angehörigen nicht noch einmal wehtun möchte. Ich versuche immer alles sehr anonym zu halten.

Wo siehst du dich und dein Unternehmen in der Zukunft?

Den Arbeitsbereich Tatortreinigung bauen wir noch weiter aus und wir wollen als Unternehmen wachsen. Jetzt in der Corona-Krise sind wir im absoluten Wahnsinn. Was wir alles an Arbeit haben, ist unfassbar. Die Menschen haben noch nie so sehr auf Desinfektion geachtet wie im Moment. Außerdem wird das Programm meiner Show auch immer interessanter und spannender.

Von Nina Welz
Veröffentlicht am 25.04.2020