Eine Nummer hat Kummer

Alleine im Märkischen Kreis und in Hagen suchen jährlich tausende Jugendliche und Erwachsene Rat bei einem Sorgentelefon. Foto: Angelina Ströbel/pixelio

Iserlohn. Ob bei der Telefonseelsorge oder beim Kinder- und Jugendtelefon – die ehrenamtlichen Telefonisten haben ein offenes Ohr für die Probleme anderer. Doch die persönlichen Belastungen sorgen immer wieder für Mitarbeitermangel.

Im Herbst 2012 müssen wieder neue Mitarbeiter für das Kinder- und Jugendtelefon (KJT ) Iserlohn ausgebildet werden. Nachwuchs wird dann wieder nötig sein, denn viele Ehrenamtliche geben ihre Aufgabe nach spätestens fünf Jahren wieder ab. „Die sind dann wirklich ‚verbrannt‘“, sagt die Vorsitzende des KJT Iserlohn, Gaby Röster. Ein Blick auf die Zahlen liefert die Erklärung: Von knapp 6000 Anrufen im Jahr 2010 waren rund 4200 Scherz- und Testanrufe, das entspricht einer Quote von 70 Prozent.

Mutproben und Beleidigungen an der Tagesordnung

„Das ist für die Mitglieder, die bei uns den Telefondienst machen, sehr stressig und auch belastend“, unterstreicht Röster. Viele Jugendliche nutzen die kostenfreie Hotline des Kinder- und Jugendtelefons für Mutproben, sie schreien in den Hörer oder beleidigen die Telefonisten. „Auch sexuelle Belästigungen gibt es da immer wieder“, berichtet Röster. Nach wenigen Jahren legen viele Mitarbeiter aus diesen Gründen eine Pause ein oder verlassen die „Nummer gegen Kummer“ gleich ganz. In Iserlohn werden deshalb alle zwei Jahre Ausbildungen für neue Mitarbeiter angeboten. Ein halbes Jahr lang lernen sie in einem theoretischen und einem praktischen Teil die Arbeit am Telefon kennen.

Und dazu gehören neben den Scherzanrufen auch ernsthafte Beratungsgespräche: Gesundheit, Freundschaft, Sexualität – die Themen sind ebenso vielfältig wie bei der Telefonseelsorge Hagen-Mark. Dort gehen jährlich sogar 9000 Anrufe ein, aber Scherzanrufe sind dort ein weniger großes Problem. „Unsere Zielgruppe sind nicht nur Kinder und Jugendliche, deshalb ist das bei uns nicht ganz so bedrohlich“, sagt deren Leiter, Stefan Schumacher. „Allerdings blockieren sie damit natürlich die Leitungen.“

Beratungen nicht zu nah an sich heranlassen

Wichtiger sind Schumacher und seinen Kollegen ohnehin die wirklichen Sorgen der Anrufer. Denn die meisten Hilfesuchenden melden sich erst, wenn sie bereits sehr konkret über einen Selbstmord nachdenken. „Ich habe derzeit alleine in der Mail-Beratung drei Frauen, die stark suizid-gefährdet sind“, so Gabriele Söll, die sich seit sechs Jahren bei der Telefonseelsorge engagiert. Söll versucht die Beratungen nicht zu nah an sich heranzulassen: „Man darf nicht zu sehr unter Helfersyndrom leiden“, erklärt sie. „Ich kann nicht jedem helfen und ich muss auch nicht jedem helfen.“

Wenn Söll einen ihrer Anrufer vom Suizid abhält, merkt sie einmal mehr, warum sie den Job vor Jahren übernommen hat. „Aber es gibt auch Gespräche, in denen es nicht gelingt, eine gemeinsame Ebene zu finden.“ Damit vernünftig umzugehen, musste Söll erst lernen: „Anfangs blieben diese Gespräche schon ein bisschen länger hängen.“ Eine ausführliche Ausbildung und regelmäßige Supervisionen, in denen sich die Telefonisten gegenseitig von ihren Beratungen erzählen, helfen zusätzlich. Immer wieder macht sich Söll allerdings auch schlicht ihre Aufgabe klar: „Ich kann aushalten, ich kann aktiv zuhören und ich kann Impulse geben. Aber ich bin nicht verantwortlich für das Lösen der Probleme.“

Von Thorsten Streber
Veröffentlicht am 01.12.2011