Abbruch der Jamaika-Gespräche

Deutschland, was nun?

Keine Jamaika-Koalition für Deutschland. Foto: Pixabay

Aus. Aus und vorbei. Seit Sonntagnacht ist klar: Es wird in der kommenden Regierungsperiode keine Jamaika-Koalition geben. Die harten Verhandlungswochen von CDU/CSU, Grünen und FDP sind gescheitert. Keine Vertrauensbasis, schlechte Kommunikation, wenig Kompromissbereitschaft – und mittendrin die Kanzlerin. Wie kann es nun weitergehen in einem Land, welches nach der zähen Groko-Zeit unbedingt einen Neuanfang wagen wollte? Ein Kommentar.

Acht Wochen nach den Bundestageswahlen ist es nun amtlich: Das Pilotprojekt Jamaika ist gescheitert. Als Christian Lindner, Parteivorsitzender der FDP kurz nach Mitternacht vor die Kameras tritt, wirkt er gefasst, sein Statement vorformuliert und seine Aussage klar: Wir wollen nicht mehr, wir brechen ab. Es habe sich keine gemeinsame Vertrauensgrundlage finden können, so Lindner. Eine wohlüberlegte rationale Entscheidung oder kaltes politisches Kalkül, fragen sich nun nicht nur die enttäuschten Wähler der drei Parteien, die auf Jamaika gehofft hatten.

Die FDP startete mit großen Forderungen in die Sondierungsgespräche: Soli abschaffen, mehr Digitalisierung, Regulierung der Flüchtlingsströme und vor allen Dingen eine Bildungsreform. Nach 54 Tagen zäher Verhandlungen sei den Liberalen zufolge nicht oder kaum auf diese Forderungen eingegangen. Den Solidaritätsbeitrag erst 2026 abzuschaffen sei eine Farce, die gewünschte Aufhebung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern, um die Bildung voran zu treiben war bis zuletzt nicht gegen CSU und Grüne durchzusetzen. Die Liberalen fürchteten, „eine Fortsetzung der großen Koalition mit grünem Anstrich“. Die Grünen konnten die CDU und CSU während der Verhandlungen von ihrem Kernziel, eine Reduzierung des Ausstoßes von CO2 zur Erreichung der Klimaziele, jedenfalls überzeugen. Geeinigt wurde sich auf Einsparungen von neun Gigawatt aus Kohlekraftwerken. Allerdings ohne die Liberalen; ihre Obergrenze lag bei fünf Gigawatt, als Kompromiss hätten sie maximal sieben Gigawatt Einsparungen zugestimmt, wenn genügend Experten eine Gefährdung der Energie-Grundversorgung hätten ausschließen können. Beschlüsse wie diese brachten schon zu Beginn der Verhandlungen die Motivation der FDP ins Wanken: „Es gibt Grenzen der Rationalität, die werden wir nicht überschreiten“, so Lindner.

Die Entscheidung, die Sondierungsgespräche abzubrechen, bleibt umstritten. In den Facebook Kommentaren unter Lindners Statement machen viele enttäuschte Bürger ihrem Unmut Luft: „Das war doch von Anfang an so geplant“, „Die reichen Bonzen sollen mal nicht so rumheulen“ und „Der Lindner will sich doch nur wichtiger machen, als er ist.“ Der Vorwurf besteht, die FDP hätte von langer Hand geplant, nicht in eine Jamaika-Koalition einzutreten. Es gibt aber auch die andere Seite: vorwiegend FDP-Wähler, die stolz sind auf den Schritt der Liberalen. „Endlich mal eine Partei, die Rückgrat beweist und sich nicht als unterdrückter und stummgeschalteter Partner um jeden Preis in die Regierung einfügen will“, schreibt ein User.

Doch die Welt ist nicht Schwarz und Weiß. Die Wahrheit, welche Strategien die FDP von Anfang an verfolgen wollte, bleibt wohl bis zuletzt ein parteiinternes Geheimnis. Die Schuldzuweisungen jetzt allerdings vollständig auf die Liberalen zu richten, wäre sowohl engstirnig, als auch schlicht nicht zielführend. Denn die Frage bleibt: Wie kann es nun weitergehen mit der Regierung Deutschlands? Der Kanzlerin bleiben nun drei Optionen: eine Rückkehr zur Groko, eine Minderheitsregierung und als letzter Schritt Neuwahlen. Die SPD, zunächst strikt gegen eine erneute gemeinsame Regierung, zeigte sich in den letzten Tagen nun nicht mehr ganz abgeneigt. Doch eine Fortsetzung der politischen Führung der letzten Jahre wäre meiner Meinung nach nicht sinnvoll. Der SPD war es nicht gelungen, ihr Profil zu schärfen oder gar größere Forderungen durchzusetzen; den deutlichen Denkzettel erhielten sie prompt bei der letzten Wahl mit dem schlechtesten Wahlergebnis seit langer Zeit. Die Entscheidung, sich erstmal wieder zu sammeln und in die Opposition zu gehen, war demnach die logische Konsequenz. Gerade das starke Wahlergebnis der AfD sollte Mahnung genug sein, dass die großen Parteien sich nicht in Einheitsbrei verlieren.

Sind Neuwahlen also die Lösung? Meiner Meinung nach nicht. Es werde zwar nicht mit einem deutlichen Anstieg der AfD-Wählerschaft gerechnet, so das Ergebnis der neuesten Spiegel Online-Umfrage; die Angst vor dem Erstarken der Rechten aber bleibt. Es wäre zumindest nicht das erste Mal, dass gerade die schweigenden Bürger mit einem schockierenden Wahlergebnis überraschen, siehe Trump, Front National, Brexit und Ähnliches. Im besten Fall allerdings blieben die Wahlergebnisse ungefähr gleich – und dann steht die Politik wieder genau da, wo sie sich jetzt befindet. Abgesehen davon, dass Neuwahlen einen immensen bürokratischen Aufwand und noch höhere Kosten bedeuten, wäre meiner Meinung nach nichts damit gewonnen.

Ist also eine Minderheitsregierung die optimale Lösung? Das vielleicht nicht, aber die beste Alternative. Die CDU hat es sich in den politischen Jahren der Kanzlerin sehr einfach gemacht; eine beliebte Führungsperson, stets den Löwenanteil innerhalb der Koalitionen und so gut wie unangreifbar. Gegen diese Politikverdrossenheit gilt es nun, mehr denn je anzukämpfen. In einer Minderheitsregierung sind wechselnde Bündnisse wieder möglich: Die Parteien müssen von Themen und Strategien überzeugt werden, anstatt sich an den Koalitionszwang halten zu müssen, um vielleicht mal selbst ein paar Mitleidsvorschläge durchbringen zu können. Zugegeben, vielleicht lassen sich Gesetzesvorschläge dann nicht mehr so einfach realisieren – aber das ist Demokratie. Wenn die Mehrheit der gewählten Gesetzesvertreter gegen einen Vorschlag stimmt, dann entspricht dieser vielleicht auch nicht der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung.

Wie es nun mit Deutschlands Regierung weitergeht, steht bislang noch in den Sternen, keiner traut sich, endgültige Aussagen zu machen. Eins ist jedoch klargeworden: Die Deutschen müssen sich nun endlich aktiv mit ihrer politischen Führung auseinandersetzen. Politik ist kein Selbstläufer – wenn uns Trump eines beigebracht hat, dann, dass Demokratie Arbeit ist und Einsatz erfordert. Denn am Ende bedeutet Demokratie, dass jeder Bürger eine Stimme hat – nicht nur in einer Koalition.

Von Annika Schuster
Veröffentlicht am 22.11.2017