Tag des Grundgesetzes

Die Suche nach dem absoluten Wert

Das Grundgesetz feiert den 71. Geburtstag. Foto: Pixabay

Die deutsche Verfassung feiert Geburtstag: 71 Jahre Grundgesetz. Und doch ist die Thematik aktueller denn je. Während der Covid-19 Pandemie fühlen sich viele Bürger Deutschlands ihrer Persönlichkeitsrechte beraubt. Die Stimmen der Demonstranten werden lauter. Und es stellt sich die Frage: Wie weit darf uns die Politik in unseren Rechten einschränken, wenn dadurch Menschenleben gerettet werden?

ISERLOHN. In der Nacht vom 23. auf den 24. Mai 1949, um 0:00 Uhr, war es beschlossen. Die westlichen Besatzungsmächte gründeten die Bundesrepublik Deutschland. Zeitgleich verkündete der Parlamentarische Rat das neue Grundgesetz. Ziel war es einen demokratischen und politischen Neustart für Deutschland einzuleiten - dieser hatte sich ausgezahlt. Schon seit 71 Jahren wird Deutschland als eine parlamentarische Demokratie geführt. Alles basierend auf dem Grundgesetz.

Dank des Artikel 5 Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes ist in Deutschland jederzeit die Meinungsfreiheit garantiert. Auf Grund dessen nutzen viele Demonstranten die Gelegenheit, um gegen die Corona Maßnahmen in Deutschland zu protestieren.

Die Angst vor der absoluten Einschränkung

Das Eindämmen des öffentlichen Lebens sehen viele Deutsche als Grundrechtsbeschränkungen. Sie erleben die getroffenen Maßnahmen als massive Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte. Dies sorgte in den letzten Tagen dafür, dass tausende Menschen auf die Straßen gingen und zeigte sich besonders vergangene Woche in Stuttgart. Laut der Stuttgarter Polizei protestierten 5.000 Menschen gegen die Auflagen aufgrund der Corona-Pandemie. Ursprünglich war die Kundgebung auf den Cannstatter Wasen für eine halbe Million Teilnehmer angemeldet.

Die Protestierenden unterscheiden sich hierbei stark voneinander. Die jeweiligen politischen Motive der Demonstranten sind teilweise sehr heterogen und teils widersprüchlich. Es gibt viele Linke Demonstranten, aber auch Liberale und Konservative bis hin zu Rechtsextremen und Rechtspopulisten. Aber auch kleine Randgruppen wie Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger sind vertreten. Sie alle aber fordern Lockerungen der Corona Maßnahmen, sowie die Unterbindung der Freiheitsberaubung. Die Demonstranten behaupten, Corona sei nur ein Mittel zur Unterdrückung der Bevölkerung. Das Resultat der Demonstrationen ist eine öffentliche Debatte über die Funktionsweise von Grundrechten.

So retten wir Leben

Die Debatte hat längst die Politik erreicht. Der Druck auf die Bundesländer wird immer größer. Dass Menschen in ihren Grundrechten eingeschränkt werden, ist auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bewusst. Merkel hält aber weiterhin an ihrer Politik fest. Ziel sei es Menschenleben zu sichern.

Nachdem landesweit die Maßnahmen gelockert wurden, äußerte sie sich letzte Woche erneut zu den Umständen. Merkel betonte, dass sich Deutschland nun in einer neuen Phase der Pandemie befinde. Dennoch machte sie erneut auf die Grundgebote der Kontaktbeschränkung aufmerksam: „Abstand, Mundschutz tragen, aufeinander Rücksicht nehmen. Das ist ganz wichtig.“

Wie viel darf die Politik?

Aufgrund der massiven Einschränkungen von Grundrechten hat auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble davor gewarnt, dem Schutz von Leben alles unterzuordnen. Gegenüber dem Tagesspiegel sagte Schäuble, dass wenn es überhaupt einen absoluten Wert im Grundgesetz gebe, dann sei es die Würde des Menschen. Er ist der Meinung, dass nicht alles vor dem Schutz von Leben zurückweichen müsse, da „die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde nicht ausschließt, dass wir sterben müssen“, sagt Schäuble dem Tagesspiegel.
Schäuble fordert damit das Abwägen des Grundrechts auf Leben und Gesundheit mit den restlichen Grundgesetzen. Oder kurz gesagt: Der Bundespräsident will dem Schutz des Lebens nicht alles unterordnen. Er ist der Meinung, dass der Staat für alle Bürger die bestmögliche gesundheitliche Verordnung gewährleisten muss. „Menschen werden auch weiter an Corona sterben“, sagt Schäuble. Der CDU-Politiker befürchte ein Kippen der Stimmung in der Bevölkerung. „Es wird schwieriger, je länger es dauert.“ Ebenso warnte er davor, die Entscheidung allein Virologen zu überlassen. „Es müssen auch die ökonomischen, sozialen und psychologischen Auswirkungen abgewogen werden. Zwei Jahre lang einfach alles stillzulegen, auch das hätte fürchterliche Folgen“, erläutert er.

Welche Grundrechte nun am meisten Gewicht haben, lässt sich auch nicht am Tag des Grundgesetzes sagen. Die Suche nach einem absoluten Wert stellt die Politik auch in Zukunft vor Herausforderungen. Denn viele Deutsche sind ungeduldig und wehren sich gegen weitere Einschränkungen. Für sie ist eines klar: Demokratie kennt keine Quarantäne.

Von Mats Kittner
Veröffentlicht am 23.05.2020

Mats Kittner

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