Black lives matter-Demonstration in Berlin

Eine Multikulti-Generation gegen Rassismus

Teilnehmer der Demo halten Plakate in die Höhe. Foto: Mats Kittner
Demonstranten versammeln sich vor der Bühne. Foto: Mats Kittner
Jugendliche klettern auf einen U-Bahn Fahrstuhl. Foto: Mats Kittner
Sitzende Demonstranten während des minutenlangen Schweigens. Foto: Mats Kittner
Die BLM-Flagge weht im Wind. Foto: Mats Kittner
Menschen klettern auf die Straßenbahnhaltestelle. Foto: Mats Kittner
Rund 15.000 Menschen erobern den Alexanderplatz. Foto: Mats Kittner
Tausende Menschen verlassen den Alexanderplatz. Foto: Mats Kittner
Auf dem Weg Richtung Alexanderplatz. Foto: Mats Kittner
Demonstranten klettern auf eine City Toilette. Foto: Mats Kittner

Anlässlich des am 25. Mai, durch Polizeigewalt, getöteten George Floyd werden die Aufschreie der schwarzen Bevölkerung aus allen Teilen der Welt immer lauter. Sie alle kämpfen gegen Rassismus und Unterdrückung. In Berlin versammelten sich am Samstag mehrere tausend Menschen, darunter viele Jugendliche und junge Erwachsene. MAERKZETTEL-Redakteur Mats war hautnah dabei.

BERLIN. Die M2 Straßenbahn erreicht die Haltestation Marienburger Straße. Ich quetsche mich in die viel zu überfüllte Tram und fahre in Richtung Alexanderplatz. Es ist sehr warm und stickig. Schon jetzt wird deutlich: Diese Fahrt ist eine ganz besondere. Die anderen Fahrgäste und ich sind aus Protest und Solidarität allesamt in schwarz gekleidet. Zwischen diversen Pappschildern und unterschiedlichen Plakaten ist es relativ schwer zu erkennen, wer und welche Altersgruppen unter den Gesichtsmasken stecken. Einzig und allein das laute und gemeinsame Keuchen nach Sauerstoff ist über den Köpfen der Fahrgäste zu hören.

„Wir bitten alle Fahrgäste die Bahn an der nächsten Station zu verlassen“, ertönt es aus den Lautsprechern über mir. Und als ich aussteige wird schnell deutlich warum. Die Straßen um den Alexanderplatz sind gefüllt mit Menschen. Es sind Tausende, die auf den rechteckigen Platz im Ortsteil Berlin Mitte strömen. Dabei fällt auf: Viele Demonstranten tragen einen Mundschutz. Schon jetzt ist es schwierig, sich an die Abstandsregelungen zu halten. Doch wirklich kümmern tut das an dem heutigen Tag niemanden.

Demonstranten übernehmen den Alexanderplatz

Noch fehlen mir ungefähr 50 Meter, bis zum Alexanderplatz. Doch spontanes und eigenständiges Bewegen ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Unter den Menschenmengen erkenne ich sehr viele junge Menschen. Sie alle tragen Plakate in englischer Sprache: „Black lives matter“, „Its time for justice“ oder „We stand with you“ sind nur wenige Beispiele von den vielen hundert Pappschildern, die an diesem Samstag in die Höhe gestreckt werden. Währenddessen fängt die Polizei an, mehrere U-Bahn Eingänge, sowie etliche Geschäfte zu sperren. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass selbst die Polizei nicht mit so vielen Demonstranten gerechnet hat. Laut Berliner Polizei sind an diesem sonnigen Samstagnachmittag etwa 800 Polizeibeamte in Berlin im Einsatz. Diese sind jeweils auf insgesamt 14 Demonstrationen in der Hauptstadt verteilt. Die Polizisten vor Ort beobachten das Treiben entspannt. Es ist alles friedlich und harmonisch. Die tausenden Demonstranten bestimmen aber schnell selbst das Geschehen vor Ort. Kontaktbeschränkungen werden mittlerweile von allen ignoriert und die Polizisten sind gezwungen zuzusehen.

Endlich auf dem Alexanderplatz angekommen, fängt auch schon das Programm mehrerer Redner an. Zwischen einzelnen Cannabis-Wolken ertönen immer wieder die verschiedensten Songs von Bob Marley, bis hin zu Kendrick Lamar. Die Lautsprecher, welche ungefähr 30 Meter vor mir auf der Bühne aufgebaut sind, sorgen für ein kribbelndes Gefühl im Bauch. Es ist eine emotionale Mischung aus Gesang und Reden. „Ich kann ehrlich gesagt gerade nicht wirklich fassen wie viele Menschen heute hier zusammengekommen sind. Aber wir werden diesen Nachmittag nutzen, um gemeinsam friedlich gegen Rassismus zu demonstrieren“, sagt eine der vier Rednerinnen und Redner. Unterdessen sind dutzende junge Männer und Frauen auf die zentral gelegene Polizei Station und das Toilettenhäuschen geklettert. Jeder Quadratmeter Freifläche wird genutzt. Die Luft ist stickig und es erfordert Konzentration nicht auf herumliegende Glasflaschen zu treten. Viele Demonstranten in der Menge und auf der Polizeistation stimmen nun mehrere Parolen an wie „No justice, no peace“ oder „Black lives matter“. Es ist mittlerweile halb vier und die Stimmung wirkt aufgeladen und angespannt. Dennoch habe ich immer das Gefühl, dass alle Versammelten zum friedlichen Protest hier sind.

Die Brutalität des Schweigens

Inzwischen weht mitten unter den Demonstranten eine riesige goldene Fahne, welche mit einer schwarzen Faust bedruckt ist. Dabei handelt es sich um die offizielle Flagge der Black lives matter (BLM) Bewegung. Hierbei geht es um den Protest gegen rassistisch motivierte Gewalt gegen people of colour. Viele von ihnen haben auf dem Alexander Platz zusammengefunden. Aber dennoch bekomme ich das Gefühl: Heute geht es um sehr viel mehr als nur Gewalt gegen Schwarze. Es geht um die Gleichwertigkeit aller Menschen. Egal, ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Auf den vierten Redner folgt nun der wohl bekannteste Teil der Protestbewegung. Es waren genau 8 Minuten und 46 Sekunden, die der Polizist Derek Michael Chauvin sein Knie auf George Floyds Nacken drückte und ihn so tötete. Weltweit gedenken Menschen dem verstorbenen Floyd nun mit einem 8 Minuten und 46 Sekunden langem Schweigen.

„Lasst uns innehalten und in diesen 8 Minuten und 46 Sekunden an alle denken, die auf dieser Welt aufgrund von Rassismus leiden und ermordet werden“, kündigte die letzte Rednerin an. Und plötzlich wird es erschreckend leise. Einzig das Rotorengeräusch eines Polizei Hubschraubers, ist über den jetzt sitzenden Demonstranten zu hören. Jetzt erkenne ich erst wirklich die Masse an Menschen, die sich versammelt hat. Tausende Demonstranten sitzen dicht nebeneinander und schweigen unter der warmen Nachmittagssonne. Es ist unbeschreiblich, wie lange und wie schmerzhaft 8 Minuten und 46 Sekunden sein können. Wir als Teilnehmer werden direkt mit den langen und schmerzhaften Sekunden des Mordes an George Floyd konfrontiert. Dann aber stehen die Menschen auf und brechen die Stille mit lautem Applaus. Ein trauriger, aber wunderschöner Moment. Ich sehe in viele weinende, aber auch ermutigte und fröhliche Gesichter von schwarzen und weißen Menschen. Viele haben sich in den Arm genommen und fangen erneut an „Black lives matter“ zu rufen.

Junges Engagement

Als sich die Demo dem Ende zuneigt, schaue ich in die ermutigten Augen von Kindern, Jugendlichen und Menschen aus aller Welt. Aber besonders die jüngeren Menschen fallen mir auf. Selten habe ich so viele junge Erwachsene auf einer Demo in Berlin getroffen. Sie alle stehen auf Straßenbahnstationen, schreien lauthals friedliche Parolen in die Menge und verbreiten ein Gefühl der Zuversicht. Sie verkörpern eine Welt der Toleranz und des Friedens. Sie sind Teil einer Generation, die mit Toleranz und Akzeptanz aufgewachsen ist.

Nach einer halben Ewigkeit erreiche ich die nächst gelegene M2 Station und betrete die Straßenbahn in Richtung Zuhause. Ich bin erschöpft und mir ist heiß. Kurz bevor ich die Bahn verlasse, erblicke ich einen Jungen vor mir. Auch dieser trägt ein Schild in seinen Armen. Die rote Schrift auf dem Pappkarton ist nicht zu übersehen: „U fucked with the wrong generation“.

Von Mats Kittner
Veröffentlicht am 09.06.2020

Mats Kittner

  • Über mich
  • Meine Artikel