Fahrraddemo in Berlin

Protestieren auf dem Fahrrad

Demonstrieren auf dem Fahrrad. Foto: Mats Kittner

Um ein klares Zeichen für einen kinderfreundlichen Verkehr und friedlichere Städte zu setzen, erobern mehrmals im Jahr die Fahrraddemos des Critical Mass Trends, die Straßen Berlins. Damit wollen die Demonstranten auf ihre Rechte gegenüber dem Autoverkehr aufmerksam machen. Doch wie genau läuft so eine Fahrraddemo überhaupt ab?

BERLIN. In der schwülen Mittagssonne treffen sich am Sonntagnachmittag am Schlosspark Demonstranten der Gruppierung Critical Mass. An jedem ersten Sonntag im Monat fahren bis zu zweihundert Radfahrer gemeinsam als kritische Masse durch Berlin. Dabei handelt es sich um keine politische Aktion und die Teilnahme ist für jeden möglich, der ein Fahrrad besitzt. Die meisten Teilnehmer sind hauptsächlich Erwachsene oder Jugendliche. Kurz bevor es los geht, werden nochmal verschiedenste Flyer verteilt, in denen die wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Berlins aufgelistet sind.

Mehrere Teilnehmer haben ihre Fahrräder extra mit unterschiedlichen Fahnen und Aussagen beklebt. Ich merke schnell, dass viele der Versammelten starke Automobilgegner sind. „Wir wollen, dass unsere Kinder sicher und selbstständig Fahrrad fahren können. Uns mangelt es stark an guten Fahrradwegen und Fahrradstraßen“, erklärt mir die Teilnehmerin Ofelia, während ein letztes Mal alle Fahrradfahrer ihre Räder kontrollieren. Wenig später setzt sich die Demo gegen halb drei in Bewegung. Wir Teilnehmer radeln entspannt in Richtung Arnimplatz in Berlin Pankow.

Rote Ampeln sind ein Fremdwort

Die Fahrradtour führt weiter durch Berlin Pankow. Gefahren wird Anfangs in Zweierreihen. Dies hat den Grund, dass die Demo nicht angehalten werden kann und somit als regulärer Verkehr gilt.
Ich merke schnell, wie effektiv eine große Ansammlung an Radfahrern sein kann. Durch die meterlange Fahrradkette ist es uns möglich so gut wie jede Kreuzung für mehrere Minuten zu blockieren. Dass die hinteren Radfahrer somit auch die ein oder andere rote Ampel überfahren bleibt nicht unbemerkt. Ständig werden wir angehupt oder angeschrien. Sprüche wie: „Verpisst euch“, oder „Ich hab die Schnauze voll von euch“, höre ich hier im Minutentakt. Dennoch, ist es ein überaus machtvolles Gefühl, wenn wir eine große Kreuzung nach der anderen komplett lahmlegen.

Die große Gruppe an Radfahrer zieht aber auch viele Schaulustige an. Immer wieder stellen sich Berliner und Touristen an den Straßenrand und filmen die außergewöhnliche Situation. „Ich finde das ist eine prima Aktion für die Umwelt und für alle Fahrradfahrer in Berlin. Ich selber fahre viel Fahrrad und fühle mich schon teilweise bedrängt von dem starken Autoverkehr“, erzählt mir ein junger Schaulustiger während im Hintergrund ein weiteres Hupkonzert ertönt.

Kurze Pause und weiter geht‘s

Gegen vier Uhr erreichen wir den Arnimplatz. Hierbei handelt es sich um einen kleineren Park, in dem wir ein wenig Zeit haben, um etwas zu essen und zu trinken. Die Stimmung unter den Demonstranten ist sehr gut. Es wird viel geredet und gelacht und vereinzelt wird auch durch kleine Lautsprecher Musik gehört. Nach ungefähr einer Viertelstunde geht das Radeln aber weiter.
Nach dem Motto „Wir blockieren nicht den Verkehr, wir sind der Verkehr“, bewegt sich die Gruppe weiter in Richtung Platz des 9. November 1989.

Als wir eine weitere Kreuzung erreicht haben, stößt plötzlich ein Polizeiauto zu uns. Die Polizisten machen es sich zur Aufgabe, den Fahrradfahren von nun an zu folgen. Nach rund 20 Minuten fällt mir auf, dass sich die Gruppe deutlich vergrößert hat. Immer mehr weitere Fahrradfahrer schließen sich spontan an und folgen uns durch den Verkehrsdschungel. Dabei verlassen aber viele die Formation, was zur Folge hat, dass die Polizei durch Lautsprecher droht die Demonstration zu beenden, falls es noch weitere Verstöße gibt.

Die perfekte Mischung aus Protest und Sport

Nach einer weiteren Dreiviertelstunde Fahrradfahren erreichen wir endlich das Ziel. Ich bin müde und meine Waden schmerzen. Ich befinde mich jetzt am Platz des 9.November 1989. Das Gefühl wirklich etwas erreicht zu haben, habe ich nach zweieinhalb Stunden Fahrradfahren nicht. Zusammenfassend wurde ich den ganzen Tag über angehupt und beleidigt. Dennoch war es ein sehr interessantes und angenehmes Gefühl, mit mehreren Fahrrädern die Straßen zu dominieren.

„Ich liebe es mit Gleichgesinnten durch die Stadt zu fahren und auf die aktuelle Problematik aufmerksam zu machen. Wir machen das jetzt schon seit mehreren Monaten und es hält einen fit und man engagiert sich für eine gute Sache“, erzählt mir der Demonstrant Felix, während sich die meisten Teilnehmer verabschieden und langsam nach Hause fahren. Eins ist für mich aber klar: Nach dem ganzen Hass der Autofahrer werde ich mein Fahrrad nach Hause schieben.

Von Mats Kittner
Veröffentlicht am 10.06.2020

Mats Kittner

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