Mein Tag in der Psychiatrie

Die Psychiatrie in Frönsberg bietet ein vielfältiges Umfeld. Foto: Lukas Hentschel

FRÖNSBERG. Jeder fühlt sich von Zeit zu Zeit niedergeschmettert und antriebslos, gerade jetzt im Herbst kennen viele auch den sogenannten „Herbstblues“. Wenn das Ganze aber keine kurze Phase ist, sondern über einen langen Zeitraum anhält, braucht man eventuell Hilfe.

Als ich gegen Mittag bei der Lwl- Klinik in Frönsberg Hemer ankomme, ist der sehr groß wirkende Parkplatz bis auf die letzte Parklücke belegt. Als erstes muss ich den Haupteingang finden. Da alles gut ausgeschildert ist, ist das zum Glück kein Problem. Dort merkte ich aber langsam, wie riesig dieses Gelände sein muss. Nachdem ich mich angemeldet habe, empfängt mich der ärztliche Direktor Herr Dr. Debbelt. Er führt mich ein wenig über das Gelände. Meine Annahme bestätigt sich: Das Gelände ist wirklich sehr groß. Es gibt ein eigenes Schwimmbad, Sauna und verschiedene Bereiche für sportliche Aktivitäten. Es gibt aber noch andere Bereiche, wie zum Beispiel eine Gärtnerei. All diese verschiedenen Dinge sind wichtig, um ein möglichst breites Spektrum an Therapien anzubieten. Herr Dr. Debbelt erzählt, dass die Krankheit, die am meisten behandelt wird, die Depression ist. Dann führt Herr Dr. Debbelt mich zu einem der verschiedenen Abteilungen. Hier werde ich meine Interviews führen. Als wir über das Gelände und die Gänge laufen, merkt man gar nicht, dass die Leute hier wegen einer psychischen Erkrankung sind.

Das sage ich, um mit ein paar beliebten Klischees aufzuräumen, dort gibt es keine Patienten in Zwangsjacken, die mit Gewalt über den Gang geschleift werden. Es hat nichts mit dem Bild zu tun, was einige vielleicht aus 12 Monkeys kennen, wo Bruce Willis ebenfalls auch in einer Psychiatrie landet. In den Gängen und Warteräumen der Patienten verhalten sich alle sehr normal, hätte ich es nicht besser gewusst, hätte man davon ausgehen können, dass man in einem großen Krankenhaus ist.

Eine Diagnose, verschiedene Schicksale

Meine erste Patientin, die ich interviewen durfte, war Frau A.. Hätte sie mir nicht erzählt, dass sie wegen Suizidgedanken in Behandlung ist, wäre man vermutlich nie darauf gekommen, dass ihr was fehlt. Aber das ist eben auch das Heimtückische an psychischen Erkrankungen, für Außenstehende meist komplett unsichtbar. Sie wirkt sogar recht zufrieden, sie hat auch das Gefühl, dass ihr die Therapien sehr gut tun. Ebenfalls erzählt sie mir, dass Psychotherapien harte Arbeit für alle sind. Das kann ich mir gut vorstellen, denn, wenn man gezwungen ist, sich intensiv mit sich selbst und seinem Umfeld und seiner Vergangenheit zu beschäftigen, ist dies sehr anstrengend. Frau A. ist Hausfrau und Mutter, sie hofft, dass sie ihr Leben wieder selber in die Hand nehmen kann.

Danach habe ich Herrn S. interviewt. Bei ihm hätte man ebenfalls nicht vermutet, dass irgendwas nicht stimmt. Jeder, der ihn auf der Straße sehen würde, hätte vermutlich nie gedacht, dass er an Depressionen leidet. Er ist 53 Jahre alt und baut Rettungs- und Wartungswege, die man zum Beispiel in Gebäuden vorfindet für den Fall, dass ein Feuer ausbricht. Er wirkt auf mich wie ein sehr lebensfroher Mensch. Wie sich herausstellt, stimmt das auch, er hat vor seiner Zeit in der Psychiatrie sehr viele Action-Sportarten betrieben. In der Klinik selbst macht er auch viel Sport, zum Beispiel Schwimmen. Leider ist das im Moment nicht möglich, da die Schwimmhalle umgebaut wird. Seine Erkrankung ist nicht neu, es war schon lange ein auf und ab. Aber irgendwann kam er an einen Punkt, wo es einfach nicht mehr ging.

Herr S. erzählt mir, wie es war, hier aufgenommen zu werden. Erst kam nach der Überweisung vom Hausarzt, in der Klinik noch der Check-up vom Psychologen, um zu prüfen, woran er genau leidet. Dann bekam er erst mal Medikamente zur Beruhigung. Danach begannen die Therapien, die ihm sehr geholfen haben. Er erzählt auch, dass man hier Leute trifft, die genau das gleiche Problem haben. Der Austausch mit diesen Patienten und das Wissen, dass man nicht allein ist, hilft ebenfalls. Er befindet sich nun in der fünften Woche in der Klinik. Als er mir erzählt, dass sogar sein Arbeitgeber ihn angerufen hat und ihm zusicherte, dass er sich keine Sorgen machen muss um seine Arbeitsstelle, bin ich sehr überrascht. Auch, dass seine Verwandten und Freunde das gut aufgenommen haben, freut mich. Das heißt nämlich auch, dass es langsame Fortschritte gibt, was die Akzeptanz solcher Erkrankungen betrifft. Als ich Herrn S. frage, was er sich für die Zeit nach seinem Klink Aufenthalt wünscht, sagt er mir, er möchte wieder Freude an Dingen haben, die ihm verloren gegangen ist.

Jetzt treffe ich mich mit Herrn A., dieser ist ebenfalls wegen Depression in Behandlung. Auch bei ihm wäre es wahrscheinlich niemanden aufgefallen, dass er Hilfe braucht. Herr A. ist 58 Jahre alt und von Beruf Programmierer. Auch er wurde vom Hausarzt hierher überwiesen. Er ist mit sechs Wochen einer der Patienten mit dem kürzesten Aufenthalt. Sein Job macht ihm viel Spaß. Er freut sich darauf, wenn er wieder sein eigenes Leben führen kann. Herr A. nimmt auch an Einzel- und Gruppentherapie teil, außerdem nimmt er das Walking in Anspruch, was die Klinik anbietet. Er bestätigt mir auch, dass der Patientenkontakt neben den Therapien sehr wichtig ist. Wie alle Patienten, die ich interviewen durfte, wirkte er sehr ruhig und gelassen.                                      

Es gibt Hilfe!

Was ich nach diesem Tag mit nach Hause nehme, ist, dass es Hilfe gibt. Das ist unabhängig von der Schwere der Erkrankung, auch für sehr schwere psychische Erkrankungen gibt es sehr gute Behandlungsmethoden und Medikamente. Auch wenn man Angst hat, sollte man sich Hilfe suchen, weil es einem selber dadurch schon deutlich besser geht. Mich würde es sehr freuen, wenn die Vorurteile gegenüber psychisch Erkrankten aus unserer Gesellschaft verschwinden.

Von Lukas Hentschel
Veröffentlicht am 15.11.2016

Lukas Hentschel

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